Montag, 11. Juni 2012

Und jeder Abschied birgt auch einen Neuanfang

Unglaublich lange ist mein letzter Beitrag nun schon her. Abschied und Neuanfang gleich zwei Mal.

1. Seit meinem Einzug im Personalwohnheim Ende Februar hatte ich immer stärker mit furchtbaren Hautproblemen zu kämpfen. Die möglichen Ursachen reichten von Arbeitsklamotten, gestellter Bettwäsche und somit Wasch-/Stärkungsmittel über Zusätze im Essen bis zu meinem Zimmer selbst - hier verdächtig der etwas siffige ewig alte, leicht fleckige Teppichboden - oder die Matratze meines Bettes. Der Ausschlag wurde immer schlimmer und generalisierter und so setzte ich letztendlich durch, innerhalb des Wohnheims umzuziehen, in ein Zimmer mit PVC-Boden. Ich verabschiedete mich also von meiner gemütlichen Dachgeschosswohnung mit Schräge und zog vom fünften in den zweiten Stock - in ein Zimmer ohne Dachschräge, aber dafür mit Balkon. Ich denke ich habe einen guten Tausch gemacht. Meine Haut wurde auch besser. Hoffen wir, dass es so bleibt.

Da ja, wie einige von euch bemerkt haben, bereits viel Zeit seit meinem letzten Eintrag vergangen ist, ist auch mein PJ weiter fortgeschritten. Nach acht Wochen Gyn wechselte ich in die Geburtshilfe, was viel Neues und Spannendes mit sich brachte. Hier konnte ich nach und nach auch immer selbstständiger arbeiten. Kamen "Neuaufnahmen", sprich Frauen zur Geburt oder auch Frauen zur Besprechung des Geburtsmodus (Spontangeburt vs. Kaiserschnitt) oder zur Kontrolle, so konnte ich bereits das Anamnesegespräch führen, die Akte anlegen, anhand der Mutterpässe bestimmen, welche Blutwerte von uns noch bestimmt werden müssen, Blut abnehmen und mit dem Ultraschall eine Biometrie durchführen, also das Baby vermessen. Dazu werden BPD (Biparietaldurchmesser - also Kopfdurchmesser von rechts nach links), FOD (Frontookzipitaldurchmesser - Kopfdurchmesser von vorne nach hinten), MAD (mittlerer abdomineller Durchmesser), AU (Abdomenumfang) sowie FL (Femurlänge) bestimmt. Daraus berechnet das Sonogerät dann von selbst ein ungefähres Gewicht des Kindes. Außerdem muss man natürlich schauen, wierum liegt das Kind da im Bauch, ist der Kopf, so wies sein sollte, nach unten oder hat man etwa eine Beckenendlage, wie ist die Fruchtwassermenge, wo sitzt die Placenta (Mutterkuchen) und so weiter. Am Anfang ist das ein ganzschön wirres Mit-dem-Schallkopf-planlos-auf-dem-Bauch-Rumgefahre, aber man wird doch erstaunlich schnell sicherer und besser. Dann is man auch ganz stolz, wenn man den Eltern bisschen erklären kann: hier sieht man das Herz schlagen (das erkennen die meisten allerdings auch schon von allein *g*), oder da sieht man die Wirbelsäule, oder das hier ist die Harnblase - die is aber ganzschön voll, oder wissen Sie denn schon, was es wird, wenn das kleine Kerlchen stolz seine kleinen Kronjuwelen präsentiert. Ja, das Schallen macht Spaß. Außerdem war ich natürlich bei vielen Geburten dabei und durfte bei Sectiones (darunter auch Beckenendlagen und Zwillinge) assistieren.
Zur Betreuung des Kreißsaales gehört auch die Betreuung der Wöchnerinnenstation. Das ist für Anfänger wie mich total super. Denn die Visiten sind ziemlich einfach - den meisten Müttern geht's gut, also gilt es lediglich ein paar Standard-Dinge abzuklappern: Fundusstand (bildet sich die Gebärmutter gut zurück)? Lochialfluss (Wochenfluss)? Brüste gut? Stillen gut? Nähte, wenn vorhanden, gut? Also alles Dinge, die ich auch gut machen kann und bei denen ich trotzdem Übung bekomme. So durfte ich also nach und nach immer häufiger auch alleine auf Visite gehen und habe an einigen Tagen sogar die ganze Station alleine visitiert. Außerdem gibt es dann auch immer viele Abschlussgespräche und -untersuchungen zu führen, da ja die meisten Frauen nur wenige Tage da bleiben. Am Ende fehlt dann noch das Ausfüllen des Mutterpasses und das Schreiben des Entlassbriefes. Da habe ich wirklich viel gelernt und es ist doch ein cooles Gefühl, zu wissen, dass man mehr oder weniger die Station alleine geschmissen hat.
15 Wochen Gyn/Geburtshilfe gingen so seeeehr rasch vorbei und kaum versah ich mich, war auch schon der letzte Tag gekommen. So verabschiedete ich mich am vergangenen Freitag von diesem super netten Team - mit einem weinenden, aber auch mit einem lachenden Auge, denn, s. Überschrift.
Zum Abschied bekam ich sogar einen Blumenstrauß geschenkt, als Dank für meine "Hilfe". Habe mich total gefreut. Der Chef meinte beim Abschiedsgespräch: "Frau Biehl, formulieren wir's mal so: wenn Sie doch irgendwann einsehen sollten, dass Chirurgie doch nicht das Richtige für Sie ist - was ich hoffe - und falls Sie sich denken: Gyn ist das Richtige. Wenn Sie dann noch sagen sollten: in Singen hat es mir gefallen, da bewerbe ich mich - dann bräuchte ich Sie nicht zu einem Vorstellungsgespräch einladen. Ist das deutlich genug ausgedrückt?" "Vielen Dank, ich werde es im Hinterkopf behalten" ;)

2. Heute begann also bereits mein zweites Tertial: Chirurgie. Die ersten vier Wochen werde ich hier in der Unfall-Chirurgie verbringen, jippi. Ich liebe ja Knochen. V.a. kaputte. Und noch viel mehr, wenn sie am Ende wieder ganz sind. Also hab ich mich voll auf meinen ersten Tag gefreut, auch wenn ich vor dem Chef son bisschen Schiss hatte, da der in den Seminaren immer so komisch ist - nie ein Lächeln auf dem Gesicht und auf falsche Antworten reagierte er mit "da müssen Sie aber nochmal kräftig was nachlesen"...
nunja. Heute konnte er sich dann doch ein Lächeln abringen, als er mich mit einem "Wir kennen uns ja schon, dann mal herzlich willkommen" begrüßte. Die ersten zwei Wochen wird sich meine Zeit hier noch mit den letzten zwei Wochen von Christian, einem anderen PJler überlappen - eine ganz neue Erfahrung ;)
Für den ersten Tag hängte ich mich dann an Niclas' Fersen, der sich heute um die Station kümmerte. Das Gute war, dass er die letzten 10 Tage selbst nicht da war und somit alle Patienten neu kennenlernen musste. Das hieß: seeeehr ausführliche Visite mit sorgfältigem Durchschauen aller Kurven. Das hat mir natürlich auch total viel gebracht und ich konnte schon einiges lernen. Außerdem stellte ich fest, dass meine letzte Chirurgie-Famulatur nun halt auch schon wieder eineinhalb Jahre her ist. Aber ich bin ja PJler, da darf man viele, viele dumme Fragen stellen - also alles garkein Problem. Mit der Visite waren dann ganzschön lange beschäftigt. Später schrieben wir Briefe - ich schrieb selbst auch zwei. Gute Übung. Für den OP war ich heute noch nicht eingeteilt, aber ich hoffe, das kommt bald =o) Viel mehr ist heute eigentlich nicht passiert. Also Fazit erster Tag: auch nette Leute, lehrreicher Tag, aber noch wenig unspektakulär. Aber was nicht ist, wird sicher noch kommen ;)

So, nu packe ich mal fürs Volleyball.

Liebe Grüße von der Unfall-Front,

Lena

Mittwoch, 18. April 2012

Das Lenschn auf dem Pfad der Differentialdiagnosen

Am Montag früh kam eine 19-jährige junge Frau zu uns mit starken Unterbauchschmerzen. Keine Blutung, kein Fieber, keine sonstigen Beschwerden. In der Anamnese gab sie an, seit vier (!) Jahren unter Diarrhoe zu leiden, viele Male am Tag. Ihr Hausarzt diagnostizierte eine Lactoseintoleranz, allerdings habe sie die Beschwerden trotz Lactose-freier Diät weiterhin (!). Gynükologisch sonographisch war nichts festzustellen, sah alles so aus, wie es aussehen sollte. Bei der vaginalen Untersuchung allerdings hatte sie so starke Schmerzen beim Druck auf den Douglas-Raum (Raum zwischen Vagina und Rektum), dass sie fast vom Stuhl gehüpft wäre.
Schwangerschaftstest unauffällig, Labor samt Entzündungsparametern unauffällig. Die Patientin hatte sich übrigens primär bei den Internisten vorgestellt, diese haben sie dann zu uns weitergeschickt.
Unsere Oberärztin vermutete eine Endometriose. Hierbei handelt es sich um "versprengtes" Endometrium-Gewebe, also Gebärmutterschleimhaut, die außerhalb der Gebärmutter in kleinen Herden verstreut vorkommt. Das ist eine relativ häufige Erkrankung, die Genese ist noch unklar, es gibt verschiedene Theorien dazu. Das Problem dieser Endometrioseherde ist, dass sie, da sie ja eigentlich Gebärmutterschleimhaut entsprechen, zyklusabhängig zu- und wieder abnehmen und dabei Beschwerden auslösen können. Klinisch oder sonographisch kann man diese Herden oft nicht nachweisen, solange sich keine größeren Zysten daraus bilden. Letztendlich kann man sie in manchen Fällen durch eine Bauchspiegelung diagnostizieren oder mit einer Anti-Babypille versuchen, die Symptome zu reduzieren. Spricht die Patientin darauf an, kann man von der Diagnose Endometriose ausgehen.
So also der Plan der OÄ: eine Laparoskopie (Bauchspiegelung) sollte die Verdachtsdiagnose bestätigen/ausschließen. Mir kam die ganze Sache komisch vor. Die Tatsache, dass die Patientin seit 4 Jahren unter Diarrhoen litt und nun einen Druckschmerz in Richtung Rektum zeigte, ließ bei mir im Kopf die Alarmglocken für eine chronisch entzündliche Darmerkrankung (Mb. Crohn oder Colitis ulcerosa) klingeln. Mein Innere-Kurs liegt ja glücklicherweise noch nicht so lange hinter mir. Als ich später mit der OÄ alleine war und sie gerade die Unterlagen für die OP vorbereitete, zögerte ich eine ganze Weile, ob ich diese Idee ansprechen sollte oder nicht. Vor allem kam die Patientin ja ursprünglich von den Internisten. Falls eine CED vorliegen könnte, hätten diese doch sicher auch daran gedacht!? Andererseits: vielleicht dachten sich die Internisten auch: junge Frau, Unterbauchschmerzen - schicken wir sie erst mal zu den Gynis - wenn die nix finden, können wir uns ja immer noch Gedanken machen.
Ich entschied mich dafür, meine Gedanken auszusprechen und fragte, ob die Patientin nicht vielleicht auch eine CED haben könne. Die Diarrhoen seit so langer Zeit seien schon auffällig und Lactose scheint ja nicht der Auslöser gewesen zu sein. Wenn eine CED eine mögliche Differentialdiagnose wäre - wäre es dann nicht sinnvoller, zuerst eine Coloskopie (Darmspiegelung) zu machen, bevor man die junge Frau operiert? Operieren kann man ja immer noch, wenn dabei nichts rauskommt. Aber dann hat man zumindest eine CED ausgeschlossen... die OÄ hielt das erst mal für sehr unwahrscheinlich. Ich sollte bei einer Patientin einen Zugang legen und als ich zurück kam, rief mich die OÄ zurück. Ich hatte mittlerweile über meinen Kommentar nachgedacht und entschuldigte mich, dass ich nicht "klugscheißern" wollte, aber dass mir der Gedanke eben kam, weil mein Innere-Kurs noch nicht so lange her sei. Sie erwiderte sofort, dass das vollkommen okay sei, sie würde sich über Ideen und Gedankenanstöße sehr freuen. Sie habe sich das nochmal durch den Kopf gehen lassen und darauf hin die Internisten angerufen. Diese meinten, die Anamnese wäre nicht sehr typisch, aber sei doch eine Differentialdiagnose, an die man denken könne. Sie einigten sich, für den kommenden Tag eine Coloskopie anzumelden und je nach Ergebnis dann in den folgenden Tagen noch eine LSK (Bauchspiegelung) nachzuschieben, bei unauffälligem Colo-Befund.

Heute morgen lief die Colo. Der Chef der Gastro fand hierbei entzündliche Veränderungen des terminalen Ileum, welche mit einem Mb. Crohn vereinbar sein könnten. Es wurden Biopsien entnommen und zur feingeweblichen Untersuchung geschickt.

Somit entließen wir heute die Patientin. Die Pathologen werden ca. zwei Tage brauchen, um die Biopsien auszuwerten. Sollte sich der Mb. Crohn bestätigen, wird sich die Patientin bei den Internisten wieder vorstellen müssen, um das weitere Vorgehen zu planen. Eine LSK ist erst mal nicht notwendig, da sie vermutlich nichts Gynäkologisches hat.

Da war ich einerseits etwas baff über mich selbst, aber andererseits auch etwas stolz =O)

Diese Geschichte zeigte aber auch, wie sehr man, wenn man erst mal in einer Fachrichtung drin ist, nur noch in eben dieser Fachrichtung denkt. Umso mehr man sich vom Studium entfernt, desto fremder werden auch die anderen Fachbereiche. Deshalb bin ich wirklich froh, dass ich als Wahlfach letztendlich doch noch etwas anderes als Chirurgie/Orthopädie gewählt haben, um mir auch noch andere Themenbereiche und Krankheitsbilder einprägen zu können.

Liebe Grüße vom Lenschn, dass durch den heutigen Tag mindestens zwei Zentimeter gewachsen ist ;)


Dienstag, 27. März 2012

Vom Rekordtumor, meiner ersten AE und dem Kuchen

Heute war ein toller Tag. Endlich, endlich, endlich durfte ich bei einer richtig großen Bauch-OP mit Laparotomie (Bauchschnitt) assistieren. Darauf habe ich seit viereinhalb Wochen gewartet =) Die Patientin: eine Frau mitte sechzig, die sich kürzlich bei ihrem Hausarzt wegen Schwindelattacken vorstellte. Bei der körperlichen Untersuchung stellte dieser dann, mehr oder weniger zufällig, eine deutliche Resistenz im Unterbauch fest, woraufhin er die Dame zu uns schickte. Im Ultraschall zeigte sich dann ein Fußball-großer Tumor, der das komplette Becken ausfüllte und durch die vorgewölbte Bauchdecke deutlich tastbar war. Man vermutete ein Ovarial-Carcinom, weshalb sie heute bei uns operiert wurde. So einen großen Tumor habe ich noch nie gesehen. Er war wirklich Kopf-groß und ging vom rechten Ovsar aus. Überraschenderweise war er glatt abgrenzbar und das Bauchfell erweckte nicht den Eindruck einer Carcinose (häufiger Streuungsort bei Ovarial-Ca). Wir holten den Tumor also im Gesamten raus und dieser wurde sofort rüber zu den Pathologen gebracht. Diese fertigten einen Schnellschnitt an und bestätigten dann telefonisch: es handelte sich hier tatsächlich um KEINEN malignen Tumor, was wir eigentlich bei dieser Größe erwartet hätten. Allerdings konnte ein Borderline-Tumor nicht ausgeschlossen werden (hierbei handelt es sich um Tumoren, die zwar nicht invasiv wachsen, allerdings trotzdem metastasieren können). Der Pathologe diagnostizierte ein "Kystom", dies ist ein zystenbildender Tumor.
Da ein Borderline nicht ausgeschlossen werden konnte, wurden, um therapeutisch auf der sicheren Seite zu sein, zusätzlich ein Teil des großen Netzes sowie des Peritoneums mitentfernt. Außerdem, "da wir nun schonmal drin" waren, entschied der Chef, auch die Appendix (Blinddarm) zu entfernen. Was weg ist, kann sich auch nicht entzünden. "Das ist für Sie, Frau Biehl!" So kam ich zu meiner ersten Appendektomie =o) Klemme, Ligatur, Absetzen mit dem Skalpell, Tabaksbeutelnaht, fertig. Da hat sich das Lenschn aber gefreut. "Da ich Ihnen unterstelle, dass Sie das zum ersten Mal gemacht haben, wird Sie das einen Kuchen kosten!" Nun ja, das nehme ich in Kauf ;) Beim Absetzen des Netzes durfte ich außerdem ganz viele Ligaturen knoten. "Sie wissen schon, wenn die Frau jetzt heute Nacht einblutet, dann wird Dr. Felix Sie anrufen. Dann dürfen Sie zum Assistieren antreten, denn dann haben Sie's vermurkst!" Man, habe ich diese Bauch-OPs vermisst =o) Da fallen mir dann auch immer tausend Fragen ein. "Frau Biehl, Sie stellen gute Fragen. Sie denken mit. Als denkende Person wären Sie in der Chirurgie doch total falsch aufgehoben! Überlegen Sie sich doch noch einmal, ob nicht doch Gyn das richtige für Sie wäre!" "Solche schönen offenen Bauch-OPs gibt's halt leider in der Gyn viel zu selten!" "Ach, das ist der Grund? Da kriegt sie ja richtig Leuchten in den Augen!" ;)
Am Ende durfte ich dann noch den riesenlangen Schnitt zutackern. Somit war der Tag perfekt *strahl*

Zwar nur ein kurzer Eintrag für heute, aber den wollte ich euch nicht vorenthalten!

Liebe abendliche Grüße vom See!

P.S. auf die Frage, ob sie diesen Tumor nicht bemerkt habe, meinte sie nur: jaja, sie hatte sich ja schon seit ner Weile gedacht, dass da was nicht in Ordnung sei, aber sie habe es nicht wahr haben wollen =/ Welch ein Segen, dass es sich um keinen malignen Tumor handelt!

P.P.S. Die Schwindelattacken könnten schmerzbedingt begründet sein. Evtl. hat der Tumor aber auch, je nach Körperlage, die Vena cava abgedrückt. Dieses Problem kennt man auch von Schwangeren, wenn das Kind auf die Vene drückt.

Sonntag, 18. März 2012

Wenn eins und eins vier ergibt

Am letzten Mittwoch blieb ich nach 16 Uhr noch etwas länger, um bei einer Patientin das postoperative Nieren-Sono zu machen. Nachdem ich das letzte Woche gezeigt bekommen hatte, wollte ich das Gelernte gleich mal anwenden. Auf Station haben wir leider nur ein einziges Untersuchungszimmer, weshalb man manchmal warten muss, bis er frei wird, damit man weiterarbeiten kann =) Es war gut, dass Annette mir dabei über die Schulter gesehen hat, denn sie stellte fest, dass die rechte Niere etwas gestaut aussieht. Leider gab es ausgerechnet bei dieser Patientin kein präoperatives Nierensono zum Vergleich, obwohl das eigentlich immer gemacht werden sollte. Annette entschied, dass wir in einigen Tagen nocheinmal schallen würden, um zu sehen, ob die Stauung schlimmer wird oder nicht.
Mittlerweile war dann nur noch Silvia da, die diese Nacht Dienst hatte. Kaum war ich mit dem Sono fertig, wurde sie in den OP gerufen für eine diagnostische Curettage (Aussschabung) und anschließende Thermablation (Verödung der Gebärmutterschleimhaut) bei einer Patientin mit postmenopausaler Hypermenorrhoe. "Magsde mitkommen?" - "Klar!" Also ab in OP. OP war relativ unspektakulär, aber ein wenig OP jeden Tag is ja nich schlecht ;)
Kaum aus dem OP draußen, wurde Silvia vom Kreißsaal angepiept wegen "tiefer Dips des Feten". Da sind wir gerannt =) Problem war, dass das Ungeborene einer jungen Frau bei jeder Wehe mit den Herztönen stark absank. Es wurde etwas Wehenhemmung gegeben, damit sich das Kind wieder erholen konnte.

Zwei Neuaufnahmen waren mittlerweile in den kreißsaal zur Entbindung gekommen. Bei diesen Frauen durfte ich den Ultraschall machen. Oder zumindest versuchte ich es ;) Garnicht so einfach, bei sonem großen Bauch die Orientierung zu bekommen. War stolz wie Schnitzel, als ich mal das Herz des Kindes, mal die Wirbelsäule gefunden hatte, aber - wie rum lag das Kind nun? Hmmm... Silvia übernahm den Schallkopf und ruckzuck war klar, welcher Körperteil wo und wie im Bauch der Mutter lag. Das sieht immer so einfach aus! Dann durfte ich noch, mit ihrer Hilfe, das Kind vermessen: anhand des Biparietal-Abstandes, des Bauchumfanges und des Thoraxdurchmessers sowie der Femurlänge kann ein ungefähres Gewicht des Kindes berechnet werden. Das ist alles garnicht so einfach, aber es hat Spaß gemacht =o)

Bei der Frau mit dem dippenden Kind gingen weiterhin die Herztöne immer wieder in den Keller und so entschieden sich Silvia und die Oberärztin zusammen mit der Patientin für eine Sectio. "Schonmal ne Sectio assistiert?" "Hm ja, letzte Woche einmal zweite Assistenz. In Schweden war ich mal erste Assistenz, aber das is schon ein paar Jahre her..." Also standen wir bald im OP und ich durfte die Sectio assistieren. Die Oberärztin hatte sich auch mit abgewaschen, um im vor Ort zu sein, wenn sich Probleme einstellen sollten, aber es lief alles sehr gut. Diesmal blieben meine Socken sogar trocken ;) Von meiner Sectio die Woche zuvor hatte ich euch noch garnicht erzählt. Eine Diabetikerin mit einem 4 Kilo-Kind wurde sectioniert. Sie hatte unglaublich viel Fruchtwasser, man nennt sowas Polyhydramnion, typisch bei Diabetikerinnen. Ich stand als zweite Assistenz zwischen den Beinen der Patientin und war hauptsächlich fürs Saugen und bisschen Hakenhalten verantwortlich. Mit dem Saugen war das sone Sache, denn als die Fruchtblase eröffnet wurde, wurden wir regelrecht überschwemmt. Unglaublich, dass da so viel Wasser drin sein kann! Der Saal stand unter Wasser (ok, das is ein wenig übertrieben), meine Schuhe auch. OÄ:"So, jetzt haben Sie mal gesehen, wie ein Polyhydramnion aussieht!" - "Gesehen und gespürt". Meine weißen Socken habe ich dann danach gleich mal in Müll geworfen.

Gerade den OP verlassen, kam eine Hebamme herbeigelaufen und berichtete, dass die Frau mit Zwillingen gleich entbinden werde. Sie war in der 38. Woche und wartete auf ein Mädchen und einen Jungen. Wenn bei Zwillingen der so genannte führende Zwilling in Kopflage ist, kann eine natürliche Geburt versucht werden. Hier waren sogar beide Kinder in Kopflage. Somit wurde ich an diesem Abend auch noch Zeugin einer spontanen Zwillingsgeburt, was sehr beeindruckend war. Die Frau machte es super, ganz ohne PDA. Zwilling 1 kam um 9:55 zur Welt - der Junge mit 2650 Gramm und neun Minuten später kam das Mädchen mit 3010 Gramm. Die Pädiater befanden beide als gesund, die Eltern überglücklich. Die Plazenta wollte hingegen nicht so gerne das Licht der Welt erblicken und so musste die Oberärztin mit Medikamenten und manuellen Maßnahmen ein wenig nachhelfen. Doch auch das wurde letztendlich geschafft und so hatte ich um 23 Uhr meinen ersten "Dienst" hinter mich gebracht. Todmüde fiel ich ins Bett und wusste, dass um 6:15 mein Wecker wieder klingeln würde...

Montag, 5. März 2012

Wenn man ohne Anleitung da steht...

... das habe ich heute ein paar Mal erleben müssen. Gerade die zweite Woche meines PJs begonnen, erlebe ich sofort, wie es auf Station so läuft, wenn das Team unterbesetzt arbeitet. Eine Ärztin alleine auf Station, zusammen mit meiner Wenigkeit. Also kümmere ich mich erst mal brav um die Blutentnahmen, was gibt es Schöneres am Morgen, als Vampir zu spielen. "Wenn du mit dem Blut fertig bist, kannst du dir gleich die Aufnahmen schnappen und schonmal Anamnese machen, eine nach der anderen". Oki, freue mich ja, wenn ich mich einbringen kann und will ja auch fleißig Gesprächsführung üben. Also schnappe ich mir die erste Patientenakte und versuche, die handschriftlichen Hiroglyphen zu entziffern, die vom Oberarzt T.F. auf der Ambulanzkarte vermerkt wurden. Keine Chance. Es lebe die elektronische Patientenakte, die es leider noch nicht bis nach Singen geschafft hat. Nun gut. Zum Glück liegt der Akte auch ein Überweisungsbericht des niedergelassenen Gynäkologen bei. Dieser verschafft mir also einen Überblick, warum die Patientin zu uns kommt, auch sind bereits Vorerkrankungen notiert. Ich merke, wie es mir noch sehr schwer fällt, mir innerhalb "kurzer Zeit" (andere wirden diese Zeit schon als lange empfinden, die ich brauche, um die Akte zu durchstöbern) einen Überblick über den Patienten zu verschaffen, und aus einem Haufen Notizen die Infos rauszusuchen, die für mich primär relevant sind. Das werde ich üben müssen. Nachdem ich den Eindruck habe, grob zu wissen, worum es bei der ersten Patientin geht, begrüße ich die Patientin, die bereits seit einiger Zeit auf dem Flur wartet und erledige bestmöglich das mir Aufgetragene. Wenn Patientinnen zur "Aufnahme" kommen, so passiert das meist einige Tage vor der eigentlichen wirklichen Aufnahme. Die Patienten kommen, man nimmt Blut ab, erfragt die Anamnese, klärt sie über die anstehende Operation auf, holt sich ein Einverständnis ein, schickt sie zum Anästhesisten für die Narkoseaufklärung und lässt noch EKG schreiben oder eventuell noch weiterführende Diagnostik veranlassen. Nach diesem Marathon, der meist viiiele Stunden für die armen Patienten in Anspruch nimmt (hauptsächlich wegen der vielen Wartezeiten zwischen den einzelnen Terminen) dürfen sie wieder nach Hause gehen und kommen dann zum OP-Tag früh morgens erst richtig als Aufnahme auf Station.
Über den Vormittag verteilt erledigte ich dann die Anamnesegespräche, sofern ich die Patienten mal zwischen ihren anderen Terminen, die die Stationssekretärin für sie organisiert, erwischen konnte. So weit so gut, das ging ganz gut.
"Achja du, is jetzt gleich zwei Uhr, da muss ich gehen, schaust bitte noch, dass du die Medikamente, die die Patienten einnehmen, auch in die Kurve überträgst und gegebenenfalls umsetzt". Umsetzen. Aha. Also im Prinzip geht's darum, dass jede Klinik mit bestimmten Pharmafirmen Verträge hat und eben deren Produkte an die Patienten ausgibt. Somit kommt es häufig vor, dass ein Patient mit einem Medikament von beispielsweise Firma Pfizer kommt, die Klinik aber nur das entsprechende Genericum der Firma Ratiopharm ausgibt. Entsprechend muss dann der Arzt raussuchen, wie das Medikament von der Firma Ratiopharm heißt, das dem Medikament von Pfizer entspricht und muss dieses eben in die Kurve eintragen. Woher sollte ich nun wissen, welche Medis die Klinik hat und welche nicht? "Ja, musst halt die Schwestern fragen, die schauen dann meistens schnell nach, was sie da haben..." Alles klar, konkrete Aussage. Diese Ärztin, S.M., habe ich aufgrund ihrer üblichen klaren Aussagen schon echt lieb gewonnen. Also begebe ich mich zu der Akte meiner aufgenommenen Patientin, um die Medikamente einzutragen. Eine nette Schwester gibt mir ein Heftchen, in dem alle Medis aufgelistet sind, die das Haus zur Verfügung hat. Allerdings gibt es dort verschiedene Auflistungen - mal nach Substanznamen, mal nach Indikation, mal nach Genericum. Also insgesamt relativ unübersichtlich, wenn man es das erste Mal in den Händen hält. Das Übertragen der Medis hat also auch wieder recht viel Zeit in Anspruch genommen und ich war auch letztendlich nicht so ganz sicher, ob das nun so ausreichend war, wie ich es gemacht hatte. Denn einige Medis hatte ich garnicht in dem Heft gefunden, nicht unter dem Originalnamen und auch nicht unter anderen Genericum-Namen. Das sind dann wohl die Medis, die der Patient selbst mitbringen muss, wenn er stationär kommt. Das habe ich später von ner anderen Ärztin erfahren, die ich nochmal zu dem Thema befragt habe. Der OA T.F. stand kopfschüttelnd nebendran und fragte mich entsetzt: "Wer hat dir denn diese Aufgabe aufgegeben? Das ist ja die absolute A****lo**-Arbeit" (ganz genauso hat er es nich ausgedrückt, aber so war es gemeint) - aber ich brauche nich antworten, er könne sich eh denken, wer das war... Nunja. Prinzipiell macht es mir nichts aus, ich will und muss es ja lernen. Allerdings wäre etwas mehr Anleitung doch hilfreich gewesen. So muss man sich nur nochmal jemand anderen suchen, der es einem dann erklärt, denn ich frage lieber zwei mal nach, als nachher was falsch zu machen...
Entsprechend hieß es bei der Untersuchung einer Patientin mit Blutungen in der 7. SSW: "Du kannst ja mal eben den vaginalen Ultraschall machen". Hm... ok!? Also wo ich mit dem Schall hin muss, is mir klar, aber was ich dann damit mache is nich so klar. Das sieht immer so einfach aus, die Ärzte hier haben superschnell optimal eingestellt, was sie sehen möchten, aber ob ich den Schall nun nach rechts oder links drehen muss, nach oben oder nach unten drücken, damit ich dieses 16mm große menschliche Böbbelchen auch gut sehen kann, war mir nich so klar ;) Aber woher soll ich das auch können...
Kommt Zeit, kommt Rat, das is wohl hauptsächlich ne Frage der Übung.

Gab dann noch nen super Vorfall - ich saß alleine im Arztzimmer, um in dem Medi-Heftchen Medikamente rauszusuchen, steht plötzlich die Schwester neben mir und drückt mir das Arzttelefon in die Hand: "Ja hier, ein Anruf aus Radolfzell, für die Ärzte". Ich: "Ich bin PJ, ich kann den Anruf nicht entgegennehmen." S:"Von den Ärzten ist gerade niemand da, ich bin dann die einzig Greifbare". Also saß ich da und hatte plötzlich das Telefon am Ohr. Glücklicherweise konnte ich mit dem Anruf sogar was anfangen und habe dann das Anliegen an die Stationsärztin weitergeleitet, aber doof war die Situation irgendwie schon.

Weitere Situation: die Oberärztin S.B. hat Ultraschall bei ner Patientin mit vorzeitigem Blasensprung beendet und sagte, sie müsse jetzt zur Übergabebesprechung, ich solle doch geschwind nochmal die Wehenhemmung anschließen, sie stellt gerade die Dosierung ein, die soll jetzt etwas höher laufen, ich müsse nur auf START drücken. Ok, Ärztin weg, ich stöpsle die Wehenhemmung wieder an und drücke auf START. Nix. Anzeige: 0ml/h. Joa, da kann dann nich so viel einlaufen... Also wieder auf die Suche gemacht nach ner Ärztin, die danach schaut, die OÄ war bereits verschwunden, eine andere half uns dann weiter, wobei die natürlich auch nich wusste, welche Dosierung die OÄ eigentlich wollte...

So sah also der erste Tag meiner zweiten Woche aus. War einerseits durchwachsen durch die vielen Situationen, in denen ich ziemlich alleine da stand, andererseits hatte ich doch das Gefühl, auch eingebunden zu werden und mich einbringen zu können. Hoffe aber, dass wir morgen wieder besser besetzt sind und ich dann doch eher auch mal Fragen stellen kann, wenn was nich klar is ;)

Übrigens, bei der jungen Frau mit frühzeitigem Blasensprung und dem Kind mit Hydrocephalus (krankhafte Erweiterung der Hirnventrikel) konnte glücklicherweise ein Syndrom ausgeschlossen werden. Nun wird man versuchen, das Kind noch zwei, drei Wochen drin zu behalten, damit es die 1000 Gramm erreicht, was die Kinderärzte gerne haben möchten, und dann wird man das Kind wohl holen (wenn es nicht vorher von selbst kommt)...

Soweit von der PJ-Front.

Grüße vom See *winx*
Lena =o]