Samstag, 20. Februar 2010

7 Geburten und Schneechaos in Göteborg

Leute, ist das ein Wetter! Nachdem ich mich letzte Woche bei meiner Mutter beschwerte, dass wir hier in Schweden garkeinen Neuschnee mehr bekämen im Gegensatz zu Deutschland, schneit es nun seit zwei Tagen fast ununterbrochen. Alles ist weiß und man stiefelt teilweise durch kniehohen Schnee. Die Folge ist, dass Trams und Busse kaum noch fahren. Eben wollte ich ganz motiviert zum Volleyballtraining fahren. Nun, eine dreiviertel Stunde nach dem Verlassen des Hauses, bin ich wieder hier. Ohne Sport. Schade eigentlich. Es ist aber schlichtweg unmöglich, in einer bestimmten Zeit von A nach B zu gelangen. Hoffe, das wird zu Beginn der neuen Woche wieder besser. Normalerweise regnet es hier in Göteborg zu dieser Jahreszeit ganz, ganz viel. Da ist mir ganz, ganz viel Schnee doch lieber =).
Nun möchte ich euch aber von meiner Nachtdienstwoche auf der Geburtenstation erzählen. Von Montag auf Dienstag hatte ich meine erste Nacht. Bereits am Wochenende hatte ich reichlich vorgeschlafen, Montag ausgeschlafen und mich auch nachmittags nochmal hingelegt und so fuhr ich gegen halb neun hochmotiviert und topfit zur Klinik. Wie immer dauerte es eine Weile, bis sich mir jemand annahm. Ich wurde der "barnmorska" (Hebamme) Annelie zugeteilt, die gleich einen sehr sympathischen Eindruck auf mich machte. Und dieser Eindruck täuschte auch nicht. In dieser Nacht herrschte Hochbetrieb auf der Geburtenstation und so sollte ich gleich im ersten Dienst drei Geburten zu sehen bekommen. Die erste Frau war Mitte dreißig und erwartete nun ihr zweites Kind. Das erste Kind kam per Notkaiserschnitt auf die Welt, nun war aber eine normale Entbindung geplant. Und das funktionierte auch super. Sie meisterte die Geburt total souverän und so wurde ich bereits nach wenigen Stunden Augenzeuge einer gut verlaufenden Geburt. Ich schaute erst mal nur zu, aber alleine das war schon überwältigend genug. Habe zuvor noch nie eine Geburt gesehen und so war es ein sehr eindrucksvolles Erlebnis für mich. Für die Eltern natürlich auch ;) sie brachten einen gesunden Sohn zur Welt. Annelie versprach mir, dass ich bei der nächsten Geburt gerne auch mithelfen dürfe. Ich freute mich und war gespannt, wie die nächste verlaufen würde. Erst einmal machten wir eine kleine Essenspause, es war bereits ein Uhr nachts. Ich war noch immer topfit, hatte ja meinen Schlafspeicher auch kräftig aufgefüllt. Bald klingelte es an der Pforte und eine junge Frau kam mit ihrem Mann auf Station. Sie erzählte, dass die Wehen um zwölf Uhr eingesetzt hätten. Sie schien starke Schmerzen zu haben und wirkte total durch den Wind, wiederholte ständig, dass sie jetzt zuerst noch duschen wolle. Annelie schaltete sofort - das Kind war unterwegs. Sie zog die Frau mehr oder weniger in ein freies Zimmer, aufs Bett, wir beeilten uns damit, ihre Klamotten auszuziehen und kaum lag die Frau richtig auf dem Bett, war das Kind bereits da. Das war unglaublich! Ich stand da und muss geschaut haben wie ein Auto. Ich war total perplex; hätte nie gedacht, dass das SO schnell gehen kann! Die Eltern waren offenbar genauso überrascht und die Frau erzählte, dass sich die Geburt ihres ersten Kindes über drei Tage hingezogen habe. Aber natürlich hatte sie nichts dagegen, dass es dieses Mal so schnell ging ;) Ich glaube, zwischen durch-die-Tür-Kommen und Kindschrei vergingen keine fünf Minuten. So war die zweite Geburt dieser Nacht also relativ schnell erledigt. Da das Ganze so wahnsinnig schnell ging, konnte ich natürlich auch nicht groß was helfen. Wäre aber in der Situation vor lauter Überraschung wohl auch unfähig gewesen, produktiv zu sein ;)
Danach wechselte ich zu einer anderen Hebamme, da diese gerade eine Patientin betreute, die gleich ihr Kind bekommen würde. Sie hatte eine EDA (Epiduralanästhesie) erhalten, die aber wohl zu großzügig dosiert worden war. Und so spürte sie ihre kompletten Beine nicht mehr und konnte sie auch kaum noch bewegen. War wohl etwas zu viel des Guten, aber sie spürte so überhaupt keine Schmerzen mehr und konnte trotzdem noch problemlos pressen und somit war es eine recht angenehme Geburt für sie. Eine halbe Stunde später war der Sohnemann geboren und Mama, Papa und Oma (die auch anwesend war) waren überglücklich. Alle drei Mütter mussten nach der Geburt genäht werden. Hier in Schweden wird das von den Hebammen gemacht. Die komplette Geburt wird eigentlich, solange sie gut verläuft, ausschließlich von einer Hebamme betreut und geleitet. Ärzte werden nur dazugerufen, wenn das CTG pathologisch ist, Patientinnen eine EDA wünschen oder nach der Geburt eine Sphinkterruptur vorliegt.
Als dieses Kind + Eltern fertig versorgt waren, war es bereits fünf Uhr morgens. Zu diesem Zeitpunkt stand keine weitere Geburt mehr an, aber in dieser Nacht hatten 12 Zwerge das Licht der Welt erblickt - eine ungewöhnlich hohe Anzahl für eine Nacht. Ich durfte nach Hause gehen und mich für die nächste Nacht fit-schlafen.
Die zweite Nacht sollte ruhiger werden. Ich war mit Gunnel, die selbst schwanger ist, unterwegs. Wir betreuten eine junge Frau, geb. '83, die ihr Kind ohne Anwesenheit ihres Freundes/Mannes zur Welt bringen wollte. Der Arme musste dann die ganze Nacht im Aufenthaltsraum sitzen und warten. Aber nunja, Frauen, welche Kinder bekommen, sollen ja bekanntlich alle Wünsche erfüllt werden, wenn möglich. Für diese Frau, Frida, war es das erste Kind und sie schien sehr unter der Geburt zu leiden. Da der Mann ja im Aufenthaltsraum saß, versuchte ich, sie etwas zu unterstützen, indem ich ihr immer wieder den Rücken massierte, Trinken holte, kalte Lappen auf die Stirn legte, Fenster auf, Fenster zu usw. Das Ganze zog sich viele Stunden hin und lange schien die Geburt nicht wirklich voran zu gehen. Zwischen drei und halb vier war es dann soweit, der Kleine entschied sich, der Plagerei ein Ende zu machen. Gunnel half bei der Geburt selbst, während ich Frida half die Beine zu halten und den Kopf zur Brust zu ziehen, während sie meine Hand so dolle quetschte, dass ich eigentlich darauf wartete, ein Knochenknirschen zu hören. Aber da ich den Eindruck hatte, dass ihr das half, hielt ich meinen Mund und versuchte, mich auf was anderes als den Schmerz in meiner Hand zu konzentrieren. Als der Kleine dann gegen halb vier mit zitterndem Kinn (irgendwie machen die Neugeborenen das alle *g*) schreiend auf ihrem Bauch lag, konnte man ihr die Erleichterung und Erschöpfung richtig ansehen. Auch jetzt durfte der Freund/Mann noch nicht reinkommen, sie wollte erst "alles fertig" haben, bevor er kommen sollte. So durfte ich die Nabelschnur durchschneiden und kam sogar in den Genuss, den Kleinen zu halten, während sie genäht wurde. Und da es sich um einen sehr komplizierten Riss handelte, dauerte das Nähen fast eine Stunde. Fand es sehr faszinierend zu sehen, wie der Kleine nach einiger Zeit begann die Augen zu öffnen und dann total desorientiert hin und her zu schauen, um die Umgebung zu erkunden. Er war total friedlich und wartete geduldig, bis Mama fertig war und er zum ersten Mal trinken durfte. Ich fand es sehr gut, dass ich die ganze Zeit mit involviert war und helfen konnte. Das ist doch besser, als nur nebendran zu sitzen und hilflos zu zu schauen. Auch wenn mir diese "motivierenden" Gespräche sehr schwer fallen, die die Hebammen sehr gut drauf haben. Nach dieser Geburt hatten wir eine längere Pause, da sonst nicht wirklich ein Baby im Anmarsch war. Zu Beginn des Abends hatte ich eine andere "Patientin" (ist in dem Zusammenhang eigentlich der falsche Ausdruck, wird aber trotzdem so benutzt) gesehen, die bereits am Ende der 42. Woche war, aber das Kind nicht so wirklich kommen wollte. Tagsüber hatte man ihr einen Katheter gelegt, der an der Spitze einen Ballong (schreibt man das so? Bin verwirrt...) besaß, welcher mit Wasser gefüllt wurde und somit den Muttermund aufdehnen sollte, um die Geburt einzuleiten. Gegen zwölf Uhr nachts wurde er dann wieder gezogen, da man ihn wohl nur zehn Stunden liegen lassen soll, aber noch immer hatte die Frau ganz selten mal schwache Wehen. Die Hebamme ging nicht davon aus, dass dieses Baby in der gleichen Nacht noch kommen würde. Gegen fünf Uhr änderte sich die Situation aber allmählich, das Kind wollte kommen. Und die Frau schien wahnsinnig zu leiden. Ich fand es sehr interessant, zu sehen, wie unterschiedlich sich werdende Väter in dieser Situation verhalten. Vom passiven schuldbewusst-nebendran-Sitzer bis zum Hochleistungs-Animateur war wirklich alles vertreten und bei diesem Paar handelte es sich um zweitere Spezies. Er übernahm komplett die Motivations und Beistand-Arbeit für seine Frau. Die Hebamme musste eigentlich garnichts machen. Das fand ich echt super! Die Frau schrie zwar das Zimmer zusammen, sodass man sie überall auf dem Flur hören konnte (die armen anderen Frauen, die das hörten, aber noch nicht soweit waren...), aber ihr Mann kümmerte sich so ausgezeichnet um sie, dass ich es garnicht schlimm fand, einfach nur im Hintergrund zu sitzen und zu warten. Leider ging es aber nicht wirklich schnell voran und um sieben Uhr war das Kind noch immer nicht da. Zwischen sechs und sieben Uhr begann dann allmählich die Müdigkeit einzusetzen. Man merkt es natürlich besonders, wenn man nur dasitzt und nichts tut. Und so ging ich dann um sieben Uhr nach Hause - auch ohne diese Geburt gesehen zu haben. Aber wer weiß schon, wie lange sowas noch dauert? Als ich dann in der Tram saß, fühlte ich, wie matschig mein Kopf war. Ich sah andere Leute einsteigen und dachte nur schadenfroh: hihi, ihr seht soo müde aus, aber ihr müsst jetzt zur Arbeit. Ich lege mich jetzt erst mal hin! Man ist matschig im Kopf und nimmt irgendwie Geräusche verzögert war... lustige Stimmung ;) War aber an diesem Morgen sehr froh, endlich in meinem Bett zu liegen und zu schlafen.
Auch die dritte Nacht war eher ruhig. Ich war zuerst mit Annika unterwegs, einer geschätzt zwei Meter großen sehr bestimmten Persönlichkeit, aber trotzdem sehr nett. Sie war jedoch jemand, die alleine die ganze Situation unter Kontrolle haben wollte und kein Stückchen davon abzugeben bereit war. Und so blieb außer ein wenig Untersuchung für mich nichts übrig, außer nebendran zu sitzen und zu warten und zuzuschauen. Der Muttermund der Frau war zwar beim Eintreffen in die Klinik bereits vollständig geöffnet (10 cm), aber nach diesem schnellen Öffnen ging es sehr schleichend voran. Annika meinte später, dass das sehr typisch sei: entweder die Öffnungsphase geschieht schnell, gefolgt von einer langen Austreibungsphase oder andersherum. Hier war eben ersteres der Fall. Ich fand es sehr anstrengend, stundenlang auf meinem Stuhl zu sitzen und alle paar Minuten bei ner neuen Wehe zuzuschauen. Bin irgendwie, wie ich schon öfter berichtet habe, nicht so der geborene geduldig-Warter. Aber es blieb mir nichts anderes übrig. Zwischendurch ging ich mal was essen oder nen Kaffee trinken, aber letztendlich landete ich immer wieder auf dem Wartestuhl. Aber so ist das eben mit Geburten - keiner kann sagen, wie lange sowas dauert und jede Minute kann sich das Bild wenden. Aber vier Stunden nur warten ist natürlich trotzdem anstrengend, auch wenn ich selbstverständlich in keinem Fall die Rollen hätte wechseln wollen ;) Ich glaube, das Kind kam dann kurz vor vier. Für die Eltern war es das erste Kind und die Mutter sehr ängstlich. Bereits während der Geburt, wobei ich mir vorstellen kann, dass das ganz normal ist (Selbstzweifel, es nicht zu schaffen; Angst vor den noch bevorstehenden Schmerzen usw.), aber auch nach der Geburt. Sobald das Kind aufhörte zu schreien, fragte sie ständig: atmet sie noch, atmet sie noch? Sollte sie nicht schreien? Geht es ihr gut? Ist sie gesund? Sieht sie normal aus? Und das wurde auch nicht wirklich besser. Das wurde dann mit der Zeit ein wenig anstrengend, aber ich glaube, dieses sich Wünschen, dass das Kind ständig schreit, ändert sich spätestens ein paar Tage nach der Geburt, wenn man vor lauter Geschrei keinen Schlaf bekommt ;)
Meine letzte Geburt erlebte ich dann zusammen mit der Hebamme Elenore. Hier handelte es sich um eine sehr junge Mutter, geb. 88, die zusammen mit ihrem Mann ihr erstes Kind erwartete. Sie war unglaublich souverän und gefasst. Ihr Verhalten hat mich sehr beeindruckt. Obwohl sie so jung und "unerfahren" war! Sie litt leider unter zu hohem Blutdruck und so war die ganze Geburt über Vorsicht angesagt, denn das Kind reagierte mit Tachykardie. Das CTG war eigentlich die ganze Zeit im pathologischen Bereich, auch die EDA schaffte es nicht wirklich, den Blutdruck der Mutter zu senken. Sie entwickelte auch etwas Fieber unter der Geburt, aber ein paar Pamol zeigten ganz guten Effekt. Ich sah die Patientin das erste Mal gegen halb zehn abends und nachdem ich zuerst die andere Geburt gesehen hatte, stieß ich hier noch einmal dazu. Als es endlich soweit war, arbeiteten Mutter, Vater und Hebamme super zusammen und so kam schließlich bei einer Wehe zuerst der Kopf und bei der nächsten Wehe der Rest des kleinen Andreas zur Welt. Dieser Anblick, dass eine ganze Weile nur der Kopf zu sehen war, ohne dass das Kind bereits atmet, war irgendwie seltsam. Bei den anderen Geburten kam immer das komplette Kind unter einer Wehe zur Welt. Aber Kind gesund, Eltern überglücklich. Ich konnte dann noch etwas als Fotograf hilfreich sein und nachdem auch diese Patientin vernäht, das Kind untersucht, gewogen und vermessen war, gab es das erste Festmahl für den Kleinen.
Um fünf Uhr war dann kein einziges Kind mehr unterwegs und so holte ich mir meine letzte Unterschrift und machte mich auf den Nachhauseweg. Meine größte Sorge im Voraus war, dass ich die Müdigkeit nicht im Griff haben und ich die Nächte nicht überstehen würde. Aber ich stellte überraschend fest, dass Müdigkeit eigentlich überhaupt kein Problem war. Es klappte ganz gut, den Tag-Nachtrhythmus für drei Tage komplett umzudrehen.
Diese drei Nächte waren sehr spannend und faszinierend für mich! Ich bin sehr froh, dass keines der Paare etwas gegen meine Anwesenheit hatte und ich diesem großartigen Erlebnis beiwohnen durfte. Es scheint doch wie ein kleines Wunder, dass neun Monate ausreichen, ein komplettes neues Leben zu erschaffen. Hach, jetzt werde ich sentimental. Da höre ich besser mal auf ;)
Euch allen ein schönes Wochenende!
Verschneite Grüße aus Göteborg
Lena =o]

Montag, 15. Februar 2010

Nicht viel zu tun diese Woche

Hallo ihr Lieben. Entspannte und fast schon gelangweilte Grüße schicke ich euch heute, an diesem etwas grauen Montagmorgen, nach Deutschland und den Rest der Welt. Nachdem die ersten drei Wochen dieses Semesters doch etwas stressig waren, ist momentan fast garnichts zu tun. Und ich muss sagen: für meinen Geschmack sogar viel zu wenig. Die letzte Woche begann für Matthias und mich auf der "Reproduktions-Avdelning", auf welcher Paare mit unerfülltem Kinderwunsch nach medizinischer Hilfe suchen. Matthias wurde direkt in den OP zu einer Eizellen-Entnahme geschickt, während ich in der Sprechstunde bei einer Follikel-Kontrolle via Ultraschall zuschaute, um die Auswirkung der Hormonbehandlung zu überprüfen. Bei der Untersuchung zeigten sich tatsächlich sehr große Follikel, was sowohl die Ärztin als natürlich auch die Patientin sehr freute. Um neun Uhr mussten wir zwei dann, zusammen mit einigen Paaren, einer Einführungsveranstaltung samt Film beiwohnen, was sich als ziemlich uninteressant und langweilig darstellte. Aber es blieb uns nichts anderes übrig, als diese 60 min durchzuhalten. Wir waren aber sehr froh, als wir den Raum wieder verlassen durften. Danach ging es für mich in den OP. Vor diesen Eizellentnahmen werden die Frauen so lange mit Clomifen gepimpt, bis sich auf dem Ultraschall ganz viele große "Bläschen" nachweisen lassen. Der Inhalt dieser Bläschen wird dann transvaginal mit einer Spritze abgesaugt, eine Schwester überprüft unter dem Mikroskop, wieviele Eizellen dabei entnommen wurden und mischt sie zusammen mit dem am selben Tag abgegebenen Sperma des "Vaters". Nun heißt's: aus zwei mach eins. Nach einigen Tagen wird dann, wenn die Befruchtung stattgefunden hat, einer dieser kleinen "Mehrzeller" in die Gebärmutter der Mutter eingepflanzt und man hofft auf Einnistung. Der Eingriff ging ziemlich schnell und war leider weniger spektakulär als erhofft. Nunja, wie bisher fast immer in der Gyn *nörgel*. Danach hieß es mal wieder warten (auch wie fast immer), da die nächste Sprechstunde erst in einer halben Stunde stattfinden sollte. Aber bei der halben Stunde blieb es natürlich nicht - die Ärztin kam 20 min zu spät. Das bin ich ja auch schon gewohnt. Ich war dann bei einem Erstgespräch dabei, in welchem ein hilfesuchendes Paar zum ersten Mal auf einen Arzt/eine Ärztin trifft und mit ihm über die möglichen Behandlungen und den Ablauf der Behandlung aufgeklärt wird. Als ich nach diesem Gespräch zum Mittagessen ging, erzählte Matthias, dass er sich bereits die Unterschrift geholt habe. Gute Idee eigentlich - ich lief zurück auf Station und ließ mir meine Anwesenheit ebenfalls bestätigen. Der Nachmittag hätte sowieso nichts Interessantes mehr gebracht und die Ärzte schienen auch nicht so wahnsinnig erfreut über unsere Anwesenheit.
Am Dienstag hatte ich frei.
Am Mittwoch hatte ich Gyn-Tagdienst, das heißt, ich sollte den diensthabenden Arzt in der Gyn-Ambulanz begleiten. Auf dem Infozettel stand, dass man nach der Morgenbesprechung (acht Uhr) in die Ambulanz gehen solle, um sich dort dem Arzt anzuschließen. Ich ging also in die Ambulanz und da ich keinen Arzt finden konnte, fragte ich die Schwestern, wann der Arzt komme. "Die Ärzte fangen hier gewöhnlich immer erst zwischen neun und zehn Uhr an. Kannst dir ja im Kaffeeraum einen Kaffee holen, das dauert sicher noch!". Mano! Dafür steht man um sechs Uhr morgens auf! Diese ewige Warterei macht mich echt langsam hirschig. Zum Glück hatte ich mein Buch dabei und konnte so wenigstens die freie Zeit etwas produktiv nutzen. Um viertel nach neun ging es dann los. Zuerst war ich mit einem relativ alten Arzt unterwegs, der jetzt auch nicht so motiviert war, groß was zu erklären. Ich stand also nebendran und schaute zu. Nach der Mittagspause wurde ich dann einem anderen Arzt zugeteilt: Klaus. Und dieser Wechsel stellte sich als sehr positiv heraus, da Klaus total motiviert war, mir etwas beizubringen. Er war entsetzt, zu hören, dass ich seit meinem Untersuchungskurs in der ersten Woche keine einzige Patientin untersucht hatte. Ja, so ist aber die Realität bei euch! Diesem setzte er sogleich ein Ende und so durfte ich im Folgenden drei Patientinnen untersuchen. Bei der ersten zeigte er nochmal, wie er es macht, bei der zweiten durfte ich dann ran und als die Patientin weg war, sprach er mit mir nochmal alles durch und sagte mir, was ich beim nächsten Mal besser machen könne. Ich war sehr dankbar, das endlich mal üben zu dürfen und wenigstens ein klein wenig Praxis aus diesem Kurs mitzunehmen. Aber das war auch nach drei Wochen mein letzter Tag in der Gyn. Immerhin.
Donnerstag und Freitag hatte ich nur jeweils ein Seminar. Ihr seht also: viel, viel Freizeit. Aber ich nutzte die Freizeit, um endlich, nach vielen Wochen (seit Mitte Dezember) endlich wieder mit Volleyball anzufangen. Die Wochen vorher hatte ich es irgendwie nicht geschafft und mir immer wieder andere Ausreden zurecht gelegt, warum es gerade an diesem Tag nicht ging. Aber ich überwand nun endlich wieder meinen Schweinehund und war diese Woche gleich drei Mal im Training. Bin ganz stolz auf mich.
Was ich euch noch garnicht erzählt habe, ist der Untersuchungskurs in der ersten Woche, den ich gerade eben erwähnt habe. Mit diesem hat es nämlich etwas ganz, ganz, ganz Seltsames auf sich: in der ersten Woche des Gyn-Kurses haben alle Studenten innerhalb der ersten zwei Wochen an einem Abend einen Untersuchungskurs. Das sieht so aus, dass ein Arzt zusammen mit zwei Studenten zu einer Patientin geht, zeigt, wie eine gynäkologische Untersuchung vor sich geht und dann jeder Student auch mal darf. Wenn ihr das lest, denkt ihr sicher: welcher Patient lässt sowas mit sich machen? Ja, das habe ich mich auch gefragt und dachte dann nur: ist ja wirklich toll, dass es Patientinnen gibt, die sich für sowas zur Verfügung stellen. Aber: weit gefehlt. In Wirklichkeit sind das garkeine Patientinnen! Nein! Es sind (jetzt haltet euch fest): Kolleginnen aus dem Haus! Ja! Unglaublich, oder? Ich weiß nicht, ob die dafür bezahlt werden oder sonstige Vorzüge dadurch erhalten, aber das sind tatsächlich Frauen, die im gleichen Haus arbeiten. Als ich das erfahren habe, hat's mir echt für nen Moment die Sprache verschlagen. Kann's eigentlich immer noch nicht ganz glauben ;) Vor allem: eine zweite Studentengruppe untersucht auch noch die gleiche Patientin. Wahnsinn...
So, meine drei Wochen Gyn-Block sind nun also vorbei und heute beginne ich meinen Geburtshilfe-Block. Und zwar mit einer Geburten-Nachtdienst-Woche. Heute Abend um 21 Uhr werde ich also, zusammen mit einer Hebamme, bei Geburten dabei sein dürfen. Mein Dienst geht bis sieben Uhr morgens und ich habe drei Nächte in Folge. Bin fast ein wenig aufgeregt, habe ja vorher noch nie eine Geburt gesehen. Muss mir nochmal ein bisschen Vorlesungsunterlagen zu dem Thema anschauen, damit ich nicht total planlos bin und werde mich heute Mittag nochmal ein wenig hinlegen und versuchen, vorzuschlafen. Weiß garnicht, wie ich die Nächte überstehen soll, bin nämlich normalerweise spätestens um zwölf schon total müde *g*. Aber wir werden sehen, wird bestimmt ganz aufregend werden! Werde euch dann von meinen Erlebnissen erzählen! Mal sehen, ob ich in drei Tagen sage, dass ich niemals Kinder haben will ;)
Aufgeregte Grüße,
Lena =o]

Freitag, 5. Februar 2010

Ich bin ein Student, holt mich hier raus! Oder auch: das Lenschn in der Gynäkologie

Vor lauter Kiruna habe ich euch noch garnicht von meinen letzten vier Wochen in der Gyn erzählt. Das Semester begann mit zwei Wochen Vorlesung, was natürlich einerseits ziemlich langweilig ist, aber andererseits auch praktisch, da diese Zeit perfekt zum Reisen, z.B. nach Kiruna, genutzt werden kann. Nach der Vorlesungszeit wurden wir, jeder mit einem individuellen Stundenplan ausgestattet, auf verschiedene Abteilungen, Sprechstunden, OP usw. verteilt. Bei mir begann dieser praktische Teil mit zwei Wochen Station/OP. Mein "handledare" der ersten Woche, Jonas, war ganz lustig und nett, aber ein wenig chaotisch. So musste ich ihn öfter einmal suchen, er kam zu spät zu den Sprechstunden usw., aber er erklärte immerhin hin und wieder etwas und berichtete in den ausgedehnten Fika-Pausen von seiner großen Leidenschaft: japanische Pflanzen. Er muss wohl zu Hause einen großen Garten voller japanischer Gewächse besitzen, die er mit größter Hingabe pflegt, zurechtschneidet und sich an deren Farbenvielfalt und Wuchsformen erfreut. Ganz so spannend fand ich das Thema leider garnicht, aber immerhin konnte ich so mein anti-medizinisches Vokabular etwas erweitern. Am ersten Tag gingen wir gleich in den OP, was ich natürlich toll fand. Durfte auch gleich assistieren, bei einer vaginalen Hysterektomie (Gebärmutterentfernung). Jedoch stellte ich fest, dass diese OP (und auch viele andere in der Gyn) einen stark brutalen Beigeschmack haben und ich bemerkte schnell, dass ich mich nicht wirklich dafür begeistern konnte. Trotzdem freute ich mich natürlich zu assistieren, wenn dies auch nur aus ein wenig Haken-Halten und Faden-Abschnippeln bestand. Die zweite Patientin war eine Frau Mitte 50, die im Dezember hysterektomiert worden war, aber weiterhin immer wieder Bauchbeschwerden hatte. Man machte im Januar ein CT und stellte fest, dass man bei der OP vor einem Monat ein Grapefruit-großes Myom (auch "Muskelknoten" genannt, meistens innerhalb der Gebärmutter) übersehen hatte, das sich außerhalb der Gebärmutter, zwischen Blase und Vagina befand. Mein Arzt war total entsetzt, da er meinte, dass es durch eine bimanuelle Untersuchung eigentlich nicht zu "übersehen" ist. Also musste die arme Frau wieder unters Messer und es gab (zu meiner Freude) eine spannende Laparotomie (Bauchschnitt). Anwesend war außerdem eine Urologin (die durchgeknallte Yr aus Island, die ich bereits im Urologiekurs im letzten Semester kennengelernt hatte), da die Blase mobilisiert und aufgeschnitten werden musste und Katheter in die Ureteren gelegt werden musste. Die OP war wirklich interessant, allerdings sah die Myomentfernung am Ende doch sehr brutal aus: Jonas drehte ein Korkenzieher-ähnliches Instrument in das Myom und zog dann so lange dran, bis es sich löste. Das Ding war so riesig, wirklich unglaublich, dass es im Dezember übersehen worden war. Aber immerhin gab's so für mich was zu sehen *g*. Die Patientin war darüber, dass sie sich einer zweiten OP unterziehen hatte müssen, natürlich sehr erbost und drohte mehrmals damit, zum Anwalt zu gehen, sobald sie entlassen werden würde. Wäre interessant, zu wissen, ob sie das wirklich macht und in wieweit man sich dann als behandelnder Arzt für so etwas rechtfertigen kann/muss.
Am zweiten Tag waren wir für die Sprechstunde eingeteilt. Allerdings kam Jonas ca. ne Stunde zu spät. Eine Stunde, die ich mal wieder rumsaß und wartete. Aber das kenne ich ja schon. Die Sprechstunde war dann auch nicht wirklich spannend. Vorgespräch für geplante Hysterektomie, Inkontinenzprobleme, Metrorrhagie (unregelmäßige Periode)... riss mich alles nicht so vom Hocker. Das einzig etwas Interessante war eine Frau mit einer Bartholini-Zyste (Zyste, die durch das Verstopfen einer Drüse entsteht), die Jonas dann drainierte.
Am Mittwoch war wieder OP-Tag und ich natürlich Feuer und Flamme. Ich fragte Jonas, ob ich am Donnerstag fehlen könne, da wir am Freitag eine schriftliche Prüfung hatten und ich außerdem noch eine Präsentation für ein Seminar am Freitag vorbereiten musste. Er sagte, das sei kein Problem, aber er hoffe doch, dass ich ihm heute noch assistieren würde, er könne meine Hilfe gebrauchen. Jippi, dachte ich mir. Wir wuschen uns steril und Jonas ging schon in den OP (die Schweden nehmen es mit Sterilwaschen nicht so ernst wie in Deutschland [dort ist das eine Wissenschaft für sich] und so war er ganz schnell fertig), während ich noch etwas länger brauchte (da ich es in Deutschland gelernt hatte). Ich war fast fertig, als die OP-Schwester herauskam und sagte: du brauchst dich nicht steril machen, Jonas hat schon eine Assistentin. Innerhalb einer Sekunde fiel meine Stimmung in den Keller. Als ich in den OP kam, wartete bereits eine der Assistenzärztinnen. Ganzschön gemein. Klar wollen die auch auf ihre OPs kommen, aber es war einfach so fies, mir die Nase im Voraus so lang zu machen. Aber er wusste es wohl nicht. Es hieß also dementsprechend: zuschauen. Und bei nur Zuschauen wird mir immer recht schnell langweilig und so war ich froh, dass ich nachmittags etwas früher gehen durfte.
Den Donnerstag nutzte ich dann nochmal richtig zum Lernen, da wir am Freitag bereits eine Prüfung schreiben mussten. Da ich kaum Zeit gehabt hatte, mich ordentlich darauf vorzubereiten, orientierte ich mich hauptsächlich an Altklausurfragen und versuchte, noch das Beste aus der verbliebenen Zeit zu machen. Als wir uns am Freitag brav mit immer einem leeren Platz dazwischen im Hörsaal verteilt hatten, hielt eine der Ärztinnen eine kurze Ansprache: "Die Klausur enthält einen Teil Altfragen und einige neue Fragen. Wir haben uns gestern gegenseitig abgefragt und sind zu dem Schluss gekommen, dass die Klausur wahrscheinlich ein bisschen zu schwer geworden ist. Wenn sie zu schlecht ausfällt, senken wir vielleicht die Bestehensgrenze." Oh-oh. Sie jagte mir mit diesen Sätzen ne ganzschöne Angst ein. Vor allem, weil zu Beginn des Semesters gesagt worden war, dass es garkeine richtige Klausur sei und man, wen man durchfallen sollte, lediglich zu einem persönlichen Gespräch zum Chef eingeladen würde. Und jetzt stellte sich diese Frau da vorne hin und sagte so etwas. Das kann ja was werden, dachte ich mir. Wenn die das schon sagt, wie schwer ist es dann erst für uns? Aber die Panikmacherei war komplett unbegründet. Insgesamt befanden sich vielleicht fünf neue Fragen in der Klausur (von 40). Diese waren tatsächlich blöd, aber der Rest bestand aus Altfragen. Und da ich ja eigentlich nur mit Altfragen gelernt hatte, war das Ganze kein Problem. Wie heißt es noch so schön? "Das Essen wird nie so heiß gegessen, wie es gekocht wird". Oder so Ähnlich. Ergebnis: 35 von 40 Punkten.
Meine zweite Woche sollte ziemlich frustrierend werden. Als ich am Montag zur Frühbesprechung kam, wurde ich Elisabeth zugeteilt. Das war nicht der Arzt, dem ich eigentlich laut Plan zugeteilt war, aber ich dachte mir, das hat sicher seine Richtigkeit. Diese ist eine Frau, deren Charakter man mit einem Hingucker bereits voll erfasst. Und dieser Eindruck war bei Weitem kein positiver. Das konnte ja was werden. Nach der Besprechung verließ ich den Raum, ging auf Elisabeth zu und stellte mich vor. Die Antwort war: "Ja, jetzt geh hier mal aus dem Weg, da kommt ja keiner durch". Ok. Also stellte ich mich zur Seite und sie klärte noch ein paar Dinge mit ihren Kollegen. Außerdem war ihr eine Assistenzärztin, Susanne, zugeteilt. Wir hatten OP-Tag. Und das hieß für mich: Zuschauen. Und das den ganzen Tag. Elisabeth operierte zusammen mit Susanne. Und es waren drei vaginale Hysterektomien an diesem Tag. Spannend. Ich stand die ganze Zeit hintendran und schaute über ihre Schulter. Ich stellte schnell fest, dass mich Elisabeth eigentlich garnicht dabei haben wollte und mich gekonnt ignorierte. Wenn ich mal eine Frage stellte, wurde diese entweder nicht beantwortet oder mit einer kurzen knappen Antwort à la: so ist das, wieso weißt du das nicht, und jetzt lass mich gefälligst in Ruhe mit deinen blöden Fragen. Das ließ ich also auch schnell bleiben. Zwischen den OPs verschwand sie total schnell irgendwohin. Ich wusste nicht, was ich machen oder wohin ich gehen sollte. Also wartete ich Ewigkeiten darauf, sie irgendwann wieder irgendwo zu finden. Um dann wieder hintendran zu stehen. Ich ging mittags dann früher, da ich nicht den Eindruck hatte, irgendetwas zu lernen. Zuschauen ist ja auf jeden Fall auch ok, aber nicht fünf Mal bei der gleichen OP. Ich hoffte darauf, dass mein Handledare am nächsten Tag wieder kommen würde.
Als ich am Dienstag nach der Frühbesprechung den Raum verließ und mich wieder zu Elisabeth stellte um sie zu begrüßen, drehte sie sich um und sagte: "Such dir einen anderen Arzt, ich hab schon Susanne." Ich war etwas perplex und wusste nicht, an wen ich mich wenden sollte. "Wer ist denn dein eigentlicher Handledare?", fragte sie schnippisch. Mir fiel der Name nicht mehr ein. "Find's halt raus!", zischte sie und machte sich mit Susanne davon. Ich stand einfach nur da, mit offener Kinnlade und wusste einfach nichts zu sagen zu diesem Verhalten. Auch der Chef, Bo, hatte das mitbekommen und fand es ebenfalls nicht gut. Er schaute zuerst entsetzt zu mir und lief dann Elisabeth hinterher, um ihr zu sagen, dass er glaube, dass sie durch die vielen Krankheitsfälle gestresst sei, aber dass das kein Umgang sei und sie nicht so mit Studenten reden könne..." Nach einer Weile kam er wieder zurück und fragte mich, ob ich es als genauso unpassend empfunden hätte oder ob es nur ihm so vorgekommen sei. Natürlich fand ich es genauso unpassend. Ich war einfach nur wütend. Er sagte, dass ihr Verhalten absolut nicht akzeptabel sei, das wohl öfter vorkomme, auch gegen Assistenzärzte und dass er sie noch ein mal zur Rede stellen werde. Ich solle das auf jeden Fall am Ende des Kurses in meiner Evaluation erwähnen, so dass er etwas in der Hand habe. Ich war froh, dass er mir den Rücken stärkte, wobei es mich doch ein wenig überraschte. Er wusste auch nicht so recht, wem er mich nun zuteilen sollte und meinte dann nach kurzem Überlegen: "Ach, wenn du magst, kannst du heute mit mir mitkommen. Ist halt Geburtshilfe anstatt Gynäkologie." Das war mir nur Recht. Der Tag wurde auch sehr spannend. Es handelte sich um einen Sprechstunde-Tag. Es war ja mein erster Tag in der Obstetrik (Geburtshilfe - sagt man im Deutschen auch Obstetrik?) und deshalb sehr interessant. Einige Patientinnen kamen einfach nur zum Gespräch, um über den aktuellen Stand und die Geburtsplanung zu sprechen. Ein Paar kam aber zu einem Nach-Gespräch, nachdem es im Dezember das Kind durch eine Infektion in der 21. Woche verloren hatte. Es war eine ganz bedrückende Situation, da man sah, wie die Eltern noch immer unter dem Verlust litten. Aber man merkte, dass es ihnen half, mit dem Arzt zu sprechen und Fragen los zu werden über Risiken in der Zukunft und warum es dazu kam und ob man es hätte früher bemerken können und ob man hätte etwas dagegen tun können, hätte man es früher bemerkt usw. Ich war die ganze Zeit nur passiver Zuhörer, aber die Zeit ging superschnell vorbei. Bei einer Patientin, die kurz vor der Geburt stand, durfte ich dann versuchen, den Muttermund zu fühlen. Ich war dabei aber leider nicht so wirklich erfolgreich, bzw. war mir nicht so ganz im Klaren, ob ich ihn nun fühlte oder nicht ;) Aber war auch mein erster Versuch. Nach der Mittagspause ging es dann weiter mit Ultraschall-Sprechstunde. Hier wurden die Feten vermessen und dadurch das ungefähre Gewicht berechnet, es wurde auf Herzschlag und Bewegung geachtet, Bo schaute, ob eine ausreichende Menge Fruchtwasser vorhanden war und ob das Kind alles hatte, was es haben sollte. Ich habe zuvor noch nie einen live-Ultraschall bei Schwangeren gesehen und lernte deshalb sehr viel. Besonders interessant war eine Frau, über 40, die nach einer Ei-Spende mit Zwillingen schwanger geworden ist und nun zur Kontrolle kam. Das Komische an der Situation war: dabei war noch eine zweite Frau, die auch schwanger war, aber um einiges jünger zu sein schien. Noch komischer: diese zwei Frauen sahen sich ähnlich. Und ich spekulierte, ob es sich hierbei um Mutter und Tochter handelte, die gleichzeitig schwanger waren. Als sie wieder gegangen waren, stellte sich heraus, dass Bo auch darüber spekuliert hatte. Und so wunderfitzig (sorry für diesen Dialekt-Ausdruck *g*) wie wir waren, durchsuchten wir nochmal die Computerdaten und fanden heraus, dass es sich wohl um ein Paar handelte. Die werden mit ihren drei Kindern dann ganz schön was zu tun haben ;)
Nach diesem Tag war ich wieder etwas motivierter und war gespannt auf den nächsten Tag.
Dieser begann mit einer kleinen Frühbesprechung, bei welcher nur die Gynäkologen anwesend waren (hier an der Göteborger Klinik ist das streng aufgeteilt: Gynäkologen und Obstetriker). Heißt: Elisabeth und drei weitere Ärztinnen. Und, welch Überraschung: mein Handledare war noch immer krank. Oh nein. Ich konnte mir schon vorstellen, was das hieß. Da Elisabeth in dieser Gruppe leider die führende Position hatte, musste ich sie fragen, wem ich zugeteilt war. Und wie befürchtet kam die Antwort: "du kommst mit uns in den OP". Also gut. Ich watschelte mal wieder Elisabeth und Susanne hinterher. Und der Tag begann mit VEX - Abtreibungen durch Absaugung. Super. Die erste machte Elisabeth und die weiteren "durfte" dann Susanne machen. Ich fand das ganze ziemlich eklig. Erstens sieht es brutal aus und zweitens ist da dieser moralische Aspekt, der mich dem Ganzen etwas Kritisch gegenüberstehen lässt. Vor allem bei so Kommentaren wie: "wenn der Sauger dieses Geräusch macht, kannst du sehen, wie die Plazenta (Mutterkuchen) rausgesaugt wird", wird mir ganz anders. In Schweden darf bis zur 18. Woche begründungslos abgetrieben werden. An diesem Tag waren es vier Stück. Ich war froh, als diese rum waren und wir in einen anderen OP wechselten. Was stand an? Vaginale Hysterektomie. Yeah. Und wer operierte? Elisabeth mit Susanne, richtig. Was machte ich? Zuschauen, genau. Spannend. Ich wurde auch übrigens wieder die ganze Zeit komplett ignoriert, was mich mit der Zeit echt total annervte. Das war überhaupt kein "handledning". Mir wurde nichts erklärt, nichts gezeigt und machen durfte ich schon garnichts. Die anderen Studenten durften die ganze Zeit assistieren. Ich stand nur blöd rum. Gegen Mittag, als eine OP fertig war, fragte ich dann Elisabeth, ob ich weiterhin den ganzen Tag nur zuschauen würde. Sie drehte sich um und frage: "Was willst DU denn SONST machen?" Vielleicht mal assistieren? So wie alle anderen? So wie es eigentlich in diesem Kurs vorgesehen ist? "Schau halt in den anderen Sälen, ob du da assistieren kannst", war die Antwort. Aber das konnte ich nicht, da die anderen Säle ja ihre eigenen Studenten hatten. Sie zischte davon, diktierte ihren OP-Bericht und verschwand mal wieder. Und ich wartete. Wie immer. Irgendwann kam sie wieder und verschwand, ohne mich eines Blickes zu würdigen, mit Susanne im OP. Da wurde mir es dann echt zu blöd und ich ging. Vermutlich ist es ihr nicht mal aufgefallen, bzw. wenn es ihr aufgefallen wäre, hätte sie sich wahrscheinlich gefreut.
Halleluja, am Donnertag war mein Handledare, Bengt, wieder da. Ein lustiger alter, kleiner Mann mit dickem Bauch. Sehr sympathisch, aber leider kurz vor der Rente und wie so oft bei dieser Altersklasse hatte ich einige Verständnisprobleme. Was müssen die auch immer so nuscheln. Trotzdem war er sehr nett. Wir hatten Sprechstunde. Ich folgte ihm also, erleichtert, dass ich nicht wieder Elisabeth hinterherrennen sollte, auf Station und dann meinte er: "ich habe jetzt erst mal nur Papierkram zu erledigen. Wir treffen uns dann um 10 Uhr in der Sprechstunde". Geil. Dafür steht man um sechs Uhr auf, um um acht Uhr anzutreten - dafür, dass man dann erst mal zwei Stunden warten kann. Toll. Aber es blieb mir nichts anderes übrig. Um zehn Uhr kam ich dann zur Sprechstunde, aber wie es mein Glück so will, kam die erste Patientin nicht. Und das hieß: wieder ne halbe Stunde warten. Ich war echt genervt. Und was war es für ne Sprechstunde? - Abtreibungs-Vorgespräch-Sprechstunde. Das schien mich echt zu verfolgen. Wir hatten dann drei Patientinnen. Und ich stellte schockiert fest, wie leichtfertig hier Abtreibungen vorgenommen werden. Hier gilt das Prinzip: die Frau entscheidet über ihren Körper und wenn sie sagt, sie will eine Abtreibung, dann kriegt sie eine. Ist ja in gewisser Weise auch nachvollziehbar. Die Frauen rufen dann in der Klinik an, sagen, sie wollen eine Abtreibung, kommen dann ein Mal zum "Gespräch" und zur Untersuchung und ein paar Tage später haben sie dann ihren Termin. Aber das Ding ist: dieses Gespräch ist garnicht wirklich ein Gespräch. Es wird mal kurz gefragt, wieso, aber da der Termin, der ja auch noch eine Untersuchung beinhaltet, auf eine halbe Stunde angelegt ist, kann da nicht groß gesprochen werden. Und wenn man da eine junge Frau sitzen hat, bei der man merkt, dass sie sich in ihrem Entschluss eigentlich doch noch nicht wirklich sicher ist, die existenzielle Fragen stellt, weinend auf ihrem Stuhl sitzt und Fragen stellt wie: "töte ich denn damit bereits ein Leben?" oder "kann ich vielleicht irgendwie mit meiner Schwangerschaft Paaren helfen, die keine Kinder bekommen können?", dann wird in Schweden nicht z.B. ein Gespräch mit einem Sozialarbeiter angeboten. Nein, nach einer halben Stunde heißt es: wir müssen jetzt aufhören, dann und dann ist dein Termin bzw. hier sind die Tabletten, nimm die am Samstag um diese Zeit. Und damit ist das "Gespräch" beendet. Das fand ich doch ziemlich krass. Habe dann auch mit Bengt darüber gesprochen und gefragt, warum speziell bei solchen Fällen nicht Gespräche angeboten werden, damit sich die Frauen wirklich klar darüber werden können, was sie wollen oder nicht wollen. Aber er meinte dann: das sind ganz normale Reaktionen, sowas sehe ich hier jeden Tag. Damit war das Thema erledigt. Das hat mich doch etwas erschreckt. Vor allem, wenn man dann bei der Ultraschalluntersuchung sieht, dass der Zwerg da drin schon Arme und Beine hat und sich bewegt - wenn man sich dann vorstellt, dass er am nächsten Montag einfach weggesaugt wird, das ist schon erschreckend. Aber der Ultraschall wird nur gemacht, um sicher zu gehen, dass ne Schwangerschaft besteht, um zu vermessen, um sagen zu können, wie weit fortgeschritten die SS ist, um dann sagen zu können: vor der neunten Woche - Tabletten oder nach der neunten Woche - Chirurgie. Ich sage nicht, dass ich in jedem Fall absolut gegen Abtreibung bin. Aber das ist wirklich ein empfindliches Thema und meiner Meinung nach sollte man als Arzt bei einer Patientin, die offensichtlich noch nicht ganz gefestigt ist in ihrem Beschluss und einen Haufen Fragen hat, eher versuchen, unterstützend zur Seite zu stehen, indem man nochmal ein Gespräch anbietet, anstatt zu sagen: du bist hier, also bist du offensichtlich gefestigt in deinem Beschluss, also bekommst du auch deine Abtreibung.
Ich habe Bengt später gefragt, wie es denn für ihn ist, Abtreibungen durchzuführen und wie es am Anfang für ihn war. Und da fing er richtig an zu erzählen. Dass er nach seinen Anfängen nach einigen Monaten Albträume bekam (er schilderte diese überraschenderweise ganz genau, aber das lasse ich hier jetzt weg *g*), die ihn immer wieder heim suchten. Er ging dann in Therapie, was ihm offensichtlich dabei half, das Ganze besser zu verkraften. Leider wurde Bengt dann durch einen Telefonanruf zu einem Patienten gerufen und da die Sprechstunde vorbei war, bekam ich meine Unterschrift und wurde nach Hause geschickt. Echt schade, dieses Gespräch hätte noch sehr interessant werden können.
Jetzt habe ich aber mal wieder ne Menge gequatscht =o]
Mache hier mal Schluss für heute und wünsche euch allen ein schönes und erholsames Wochenende!