Donnerstag, 19. November 2009

Vier Tage ohne Tageslicht

Sitze gerade im Zug von Skövde nach Göteborg. Manche von euch fragen sich sicher a: wer oder was ist Skövde und b: was hat sie dort oder bei ihm/ihr gemacht? Skövde ist eine 33119 - Personen Stadt 170 km nordöstlich von Göteborg. Das war Antwort a. Antwort b: ich hatte in Skövde meine "utlokalisering"s-Woche im Fach Chirurgie. Warum wir hier in Göteborg ab und zu "ausgelagert" werden, weiß eigentlich keiner so genau. Aber eigentlich ises ne ganz coole Sache. Weil: man lernt andere schwedische Städte kennen. Fehlanzeige. Habe von der Stadt eigentlich außer meinem Zimmer, dem Bus und dem Krankenhaus garnichts gesehen. Warum, erzähle ich später. Zweiter Grund, warum es ne coole Sache is: man lernt andere Krankenhäuser kennen. Und das trifft in meinem Fall sogar tatsächlich zu. Toll also. Nun aber ganz von Anfang. Am besten hole ich etwas weiter aus, damit ich mich noch ein bisschen profilieren kann:

Am Anfang des Semesters bekamen wir eine Liste ausgehändigt, aus der man die Stadt entnehmen konnte, in welcher man für eine Woche Praktikum ausgelagert werden würde (irgendwie hört sich dieses Wort auslagern doof an, aber mir fällt gerade nichts Besseres ein. Also einfach weiterhin ignorieren...). Bei mir stand da eben "Skövde, vecka 47". Ich wusste zu diesem Zeitpunkt weder wo das liegt, noch wie man das überhaupt ausspricht. Aber alles erst mal nicht so problematisch, war ja noch Zeit, das herauszufinden. Auf dem Zettel stand außerdem, dass man sich einige Wochen vorher mit dem Krankenhaus telefonisch in Verbindung setzen solle, um die Möglichkeit einer Übernachtungsmöglichkeit zu besprechen. Das war natürlich ein Kommentar, der mich gleich mal in Panik versetzte, den ich aber schnell wieder verdrängte, da ja, wie gesagt, noch lange Zeit. Die Zeit verging allerdings schnell. Ich hatte das Glück, dass Kathi einige Wochen vorher bereits ebenfalls in Skövde war und mir eine eMail-Adresse der zuständigen Sekretärin (oder was auch immer) geben könnte. Das war für mich natürlich gefundenes Fressen, denn wie ihr ja wisst, hasse ich telefonieren, erst recht wenn ich die Leute nicht kenne und noch rechter (wieder ignorieren...), wenn das Ganze auch noch auf Schwedisch stattfinden soll. Also schrieb ich eine eMail ca. zwei Wochen bevor es losgehen sollte. Auf diese eMail bekam ich aber leider keine Antwort. So war es schließlich fünf Tage vorher und ich wusste genau: jetzt komme ich nicht mehr drumrum, ich MUSS anrufen, sonst geht das Ganze noch in die Hose und ich kann dort auf der Straße übernachten. Diesen Gedanken fand ich dann doch sehr abschreckend. Typisch Lena überlegte ich aber erst einmal, ob ich diese für mich äußerst unangenehme Aufgabe nicht doch auf jemand anderen abschieben könne, z.B. auf Åsa oder eine Kommilitonin. Hatte einfach total Panik, am Telefon nichts zu verstehen. Aber nach einigen Überlegungen entschied ich mich dann doch, es selbst zu versuchen. Also rief ich tatsächlich dort an (ehrlich!), mit einem gefühlten Puls von 825947304 und -


- das Gespräch lief voll gut!!! Ich konnte sagen, was ich sagen wollte; ich konnte fragen, was ich fragen wollte und ich verstand was sie sagte. Krasse Sache. Ihr könnt das wahrscheinlich garnicht fassen. Ich auch nicht *fg*. Aber es war so. In diesen fünf Minuten wuchs ich also um mindestens drei Zentimeter.


Am Sonntag war es dann soweit. Ich fuhr mit dem Zug von Göteborg nach Skövde. Und ahnte zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass sich der Tag zu einer Odyssee herausstellen sollte. Meine Reise begann um drei Uhr. In Falköping musste ich umsteigen (okay, unwichtiges Detail...) und kam dann um 16:33 in Skövde an. Nun war ich immerhin schonmal in der Stadt. Die Sekretärin hatte mir mitgeteilt, dass sie eine Unterkunft für mich besorgen würde und ich einfach sonntags den Schlüssel in der Ambulanz des Krankenhauses abholen solle. Alles weitere würde ich dann vor Ort erfahren. Also gut. Fragte also am Bahnhof, mit welchem Bus ich zum Krankenhaus kommen würde und war dann auch relativ schnell dort. In der Ambulanz bekam ich dann von einer Schwester einen Umschlag in die Hand gedrückt mit dem Kommentar, alle Informationen zur Unterkunft, Wegbeschreibung, Schlüssel usw. würde ich darin finden, aber jetzt solle ich erst mal schlafen, damit ich am nächsten Morgen fit sei. Mit diesem Kommentar ließ sie mich auf dem Flug stehen. Okay, dachte ich mir, nette Begrüßung. Also machte ich mich wieder auf den Weg in Richtung Bushaltestelle und öffnete den Umschlag. Darin fand ich: einen Schlüssel, einen Mietvertrag, Verhaltensregel für das Zimmer und eine Stadtkarte in A5-Format mit einem Krankenhauszeichen ganz oben und einem Kreuz ganz unten. Geil. Straße und Hausnummer stand im Briefumschlag. Soweit so gut. Aber: wie komme ich jetzt dahin? Kein Vermerk, welchen Bus ich nehmen solle, nichts. Super. An der Bushaltestelle stand lediglich, welche Busse in welche Richtung fuhren, aber es wurden keine Haltestellen aufgelistet. Zudem wusste ich auch garnicht, welche Haltestelle ich nehmen musste. Zum Glück hatte ich mein Laptop mit mobilem Internet dabei und so konnte ich schauen, welchen Bus ich nehmen musste. Aber in diesem Moment war meine Euphorie erst mal verflogen. Diese Organisation regte mich echt auf. Mein Bus fuhr allerdings erst in einer halben Stunde. Also wartete ich. Eine halbe Stunde später fuhr ich dann erst mal wieder zum Bahnhof, dort musste ich umsteigen. Der nächste Bus sollte aber ebenfalls erst eine halbe Stunde später kommen *uff*. Also wartete ich wieder. Glücklicherweise hieß aber die Haltestelle genauso wie die Straße und von der Endhaltestelle war ich dann auch direkt am Ziel angelangt. Ist irgendwie seltsam, in einer fremden Stadt irgendwo nen Schlüssel abzuholen, irgendwo zu nem Haus zu fahren, dort in den sechsten Stock zu laufen um dann einfach in ne Wohnung zu gehen und sich dort breit zu machen und zu hoffen, dass nicht noch jemand nen Schlüssel hat und irgendwann hereinspaziert kommt. Aber daran gewöhnte ich mich schnell, über die Wohnung kann ich mich echt nicht beschweren. Nur dass diese genau am anderen Ende der Stadt lag als das Krankenhaus und ich mit dem Bus eine halbe Stunde Fahrt einrechnen musste. Somit musste ich jeden Tag relativ früh aufstehen.


Die Woche stellte sich aber als eine der besten Wochen heraus, die ich bisher hier in Göteborg hatte. Es hieß, ich könnte mir frei aussuchen, wo ich meine Tage verbringen möchte, ob auf Stationen, in der Ambulanz oder im OP und so entschied ich mich, in der Ambulanz anzufangen. Dort war ich dann mit zwei Ärzten unterwegs. Wurde gefragt, ob ich eigene Patienten haben wolle, oder mitlaufen wolle und schauen. Und unsicher wie ich bin, antwortete ich natürlich erst mal: "vielleicht heute erst mal mitlaufen und ab morgen eigene Patienten?". So machte ich das dann auch erst mal. Mittags fragte mich Paul dann aber, ob ich einen Patient nehmen möchte und da sagte ich dann ja, ohne darüber nachzudenken. Aber das war auch gut so, denn wenn ich darüber nachgedacht hätte, hätte ich es wahrscheinlich nicht gemacht ;) Ich schnappte mir also eine Aufnahmemappe, in der ich sehen konnte, mit welchen Beschwerden der Patient kommt, wichtige bisherige Krankheiten und ob bereits irgendwelche Proben abgenommen wurden (das machen hier nämlich die Schwestern). Dann geht man zuerst mal ins Computerprogramm und schaut, ob die Patienten bereits mal in diesem Krankenhaus gewesen sind und wenn ja warum, was man da so gemacht hat, welche weiteren Krankheiten sie haben und so weiter. Nachdem man sich so ein wenig Hintergrundwissen angeeignet hat, geht man zum Patienten und führt das Anamnesegespräch und dann folgt die Untersuchung. War ganzschön aufgeregt bei meinem ersten Patienten. Aber das Gespräch funktionierte erstaunlich gut. Wenn ich etwas nicht verstand, fragte ich einfach nach, um sicher zu gehen, dass ich nichts falsch verstehe. Und dafür hatten die Patienten eigentlich auch immer Verständnis, sie merkten ja, dass ich keine Schwedin bin ;) Nachdem ich dann mein Gespräch geführt und den Patienten untersucht hatte, versuchte ich meine Ergebnisse nochmal auf nem Zettel zu strukturieren und berichtete dann Paul oder Karolina von meinem Patienten. Diese erwarteten dann auch eine Einschätzung von mir, was ich darüber denke, was der Patient haben könnte und welche weiteren Maßnahmen ich anordnen wolle. Das ist eine ganz neue Erfahrung für mich, dass ich da wirklich selbst aktiv sein soll und selbst denken soll. Das hört sich für euch wahrscheinlich komisch an, aber das ist in der deutschen Ausbildung nicht wirklich vorgesehen. Und das muss man erst mal lernen. Danach hat dann Paul bzw. Karolina auch nochmal einen Blick auf den Patienten geworfen, damit ich auch nichts Wichtiges übersehe und dann wurden weitere Maßnahmen eingeleitet. Danach war es dann meine Aufgabe, alles als Bericht zu diktieren. Dafür brauchte ich erst mal eeewig viel Zeit, aber ich merkte doch mit jedem Patienten, dass ich schneller und auch strukturierer wurde. Am ersten Tag lief das aber alles noch ziemlich chaotisch und so war ich am Ende des Tages doch relativ unzufrieden mit mir. Mir fielen ständig Dinge ein, die ich vergaß zu fragen oder zu untersuchen und ständig bemerkte ich, was ich im Bericht hätte anders diktieren können usw. Aber gleichzeitig kamen mir dann auch einige Ideen, wie ich es besser machen könnte und nahm mir vor, es am nächsten Tag besser zu machen. Und das funktionierte auch. Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, in Skövde so viele Jours wie möglich zu machen. Muss davon nämlich noch vier machen. Aber letztendlich wurde es nur einer. Am Montag Abend hatte ich ab mittags wahnsinnige Kopfschmerzen. Dachte zuerst: ich mache den Jour trotzdem, hört sicher wieder auf, aber um 18 Uhr war es dann so schlimm, dass ich nach Hause gehen musste. Legte mich dann auch um sieben bereits ins Bett. Schlief aber total schlecht. Dienstag waren die Kopfschmerzen dann wieder verschwunden. Der Tag lief gut und machte total Spaß. Also hängte ich auch einen Jour dran und so war ich 13 Stunden im Krankenhaus, ohne dass mich das gestört hat. Als ich dann abends auf dem Weg nach Hause im Bus saß, merkte ich erst, wie erschöpft ich doch war und dass der Tag ganzschön ansträngend war. Aber ich fühlte mich trotzdem gut, denn es hatte Spaß gemacht. Schlief dann aber nur knapp sechs Stunden, was eindeutig zu wenig für mich ist und so war ich am Mittwoch den ganzen Tag über so wahnsinnig müde, dass ich ständig glaubte, gleich einzuschlafen. Vormittags war ich im OP. Leider durfte ich aber nur zuschauen. Zwei laparoskopische Magen-Bypässe bei übergewichtigen Patienten und eine laparoskopische Cholezystektomie (Gallenblasenentfernung). War interessant, mal sonen Bypass zu sehen, aber beim zweiten langweilte ich mich dann. Und Lap-Gallen habe ich total viele während meiner Famulatur gesehen und auch bei vielen assistiert, war also auch nicht wirklich spannend. Nach dem Mittagessen bin ich dann wieder in die Ambulanz gegangen. Kam aber einfach nicht gegen meine Müdigkeit an, sodass ich mich entschloss, keinen Dienst zu machen. Heute dann der letzte Tag, ich war fit wie ein Turnschuh, auch wenn ich wieder nur sechs Stunden geschlafen habe (muss aber qualitativ besser gewesen sein ;) ) und der Tag war total cool. Hat wahnsinnig viel Spaß gemacht, hatte einige Patienten und ich glaube, diese Woche hat mir sehr viel gebracht, vor allem in praktischer Hinsicht. Hatte eigentlich durchweg Patienten mit "buskmärtor" (Bauchschmerzen) und hoffte die ganze Zeit, nen Blinddarm oder ne Galle diagnostizieren zu können, was eigentlich total oft vorkommt, aber irgendwie sind fast alle meine Patienten ihre Gallen und Blinddärme bereits früher losgeworden. Schade. Hatte aber einige Tumorpatienten, Steinpatienten, Divertikulose-Patienten usw.

Nun zum Titel des heutigen Beitrages: Ich bin Sonntags erst abends in Skövde angekommen. Momentan ist es bereits um 16 Uhr stockdunkel. Morgens bin ich um 6:42 in den Bus gestiegen (stockdunkel) und abends zwischen 16:30 und 21 Uhr wieder in den Bus zurück. Deshalb habe ich eben festgestellt, dass ich Skövde wirklich keine Minute bei Tageslicht gesehen habe. Hatte auch keine freie Zeit, um mir die Stadt anzuschauen. Außerdem hat es die ganze Zeit geregnet. Schade eigentlich. Trotzdem mein Fazi: tolle und lehrreiche Woche, supernettes Personal und ich denke, dass ich sehr viel aus diesen vier Tagen mitnehmen werde.


Nun habe ich sehr viel geschrieben und schließe deshalb hiermit. Außerdem ist mein Laptop-Akku gleich leer =o]


Liebe Grüße,


Lena =o]

2 Kommentare:

Mira hat gesagt…

"Hallo lieber Patient, ich hätte ja sooo gern eine Blinddarmentzündung bei Ihnen diagnostiziert, aber leider ist es mal wieder nur ein Tumor. Vad tråkigt."

P.S. Dein Deutsch war auch schon mal besser ;-)

Ha en bra dag!
Mira

*lenschn* hat gesagt…

ja, die deutsche sprache... echt schade eigentlich. war noch vor einigen monaten etwas, was ich eigentlich ganz gut konnte. aber jetzt... habe das gefühl, ich habe nur einen begrenzten platz in meinem hirn für sprache. und da momentan viel neues dazu kommt, wird altes einfach rausgeschoben... kann auch kein französisch mehr, seit ich hier bin.


aber da scheint ja jemand fleißig schwedisch zu lernen =o]

liebe grüße

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