Freitag, 5. Februar 2010

Ich bin ein Student, holt mich hier raus! Oder auch: das Lenschn in der Gynäkologie

Vor lauter Kiruna habe ich euch noch garnicht von meinen letzten vier Wochen in der Gyn erzählt. Das Semester begann mit zwei Wochen Vorlesung, was natürlich einerseits ziemlich langweilig ist, aber andererseits auch praktisch, da diese Zeit perfekt zum Reisen, z.B. nach Kiruna, genutzt werden kann. Nach der Vorlesungszeit wurden wir, jeder mit einem individuellen Stundenplan ausgestattet, auf verschiedene Abteilungen, Sprechstunden, OP usw. verteilt. Bei mir begann dieser praktische Teil mit zwei Wochen Station/OP. Mein "handledare" der ersten Woche, Jonas, war ganz lustig und nett, aber ein wenig chaotisch. So musste ich ihn öfter einmal suchen, er kam zu spät zu den Sprechstunden usw., aber er erklärte immerhin hin und wieder etwas und berichtete in den ausgedehnten Fika-Pausen von seiner großen Leidenschaft: japanische Pflanzen. Er muss wohl zu Hause einen großen Garten voller japanischer Gewächse besitzen, die er mit größter Hingabe pflegt, zurechtschneidet und sich an deren Farbenvielfalt und Wuchsformen erfreut. Ganz so spannend fand ich das Thema leider garnicht, aber immerhin konnte ich so mein anti-medizinisches Vokabular etwas erweitern. Am ersten Tag gingen wir gleich in den OP, was ich natürlich toll fand. Durfte auch gleich assistieren, bei einer vaginalen Hysterektomie (Gebärmutterentfernung). Jedoch stellte ich fest, dass diese OP (und auch viele andere in der Gyn) einen stark brutalen Beigeschmack haben und ich bemerkte schnell, dass ich mich nicht wirklich dafür begeistern konnte. Trotzdem freute ich mich natürlich zu assistieren, wenn dies auch nur aus ein wenig Haken-Halten und Faden-Abschnippeln bestand. Die zweite Patientin war eine Frau Mitte 50, die im Dezember hysterektomiert worden war, aber weiterhin immer wieder Bauchbeschwerden hatte. Man machte im Januar ein CT und stellte fest, dass man bei der OP vor einem Monat ein Grapefruit-großes Myom (auch "Muskelknoten" genannt, meistens innerhalb der Gebärmutter) übersehen hatte, das sich außerhalb der Gebärmutter, zwischen Blase und Vagina befand. Mein Arzt war total entsetzt, da er meinte, dass es durch eine bimanuelle Untersuchung eigentlich nicht zu "übersehen" ist. Also musste die arme Frau wieder unters Messer und es gab (zu meiner Freude) eine spannende Laparotomie (Bauchschnitt). Anwesend war außerdem eine Urologin (die durchgeknallte Yr aus Island, die ich bereits im Urologiekurs im letzten Semester kennengelernt hatte), da die Blase mobilisiert und aufgeschnitten werden musste und Katheter in die Ureteren gelegt werden musste. Die OP war wirklich interessant, allerdings sah die Myomentfernung am Ende doch sehr brutal aus: Jonas drehte ein Korkenzieher-ähnliches Instrument in das Myom und zog dann so lange dran, bis es sich löste. Das Ding war so riesig, wirklich unglaublich, dass es im Dezember übersehen worden war. Aber immerhin gab's so für mich was zu sehen *g*. Die Patientin war darüber, dass sie sich einer zweiten OP unterziehen hatte müssen, natürlich sehr erbost und drohte mehrmals damit, zum Anwalt zu gehen, sobald sie entlassen werden würde. Wäre interessant, zu wissen, ob sie das wirklich macht und in wieweit man sich dann als behandelnder Arzt für so etwas rechtfertigen kann/muss.
Am zweiten Tag waren wir für die Sprechstunde eingeteilt. Allerdings kam Jonas ca. ne Stunde zu spät. Eine Stunde, die ich mal wieder rumsaß und wartete. Aber das kenne ich ja schon. Die Sprechstunde war dann auch nicht wirklich spannend. Vorgespräch für geplante Hysterektomie, Inkontinenzprobleme, Metrorrhagie (unregelmäßige Periode)... riss mich alles nicht so vom Hocker. Das einzig etwas Interessante war eine Frau mit einer Bartholini-Zyste (Zyste, die durch das Verstopfen einer Drüse entsteht), die Jonas dann drainierte.
Am Mittwoch war wieder OP-Tag und ich natürlich Feuer und Flamme. Ich fragte Jonas, ob ich am Donnerstag fehlen könne, da wir am Freitag eine schriftliche Prüfung hatten und ich außerdem noch eine Präsentation für ein Seminar am Freitag vorbereiten musste. Er sagte, das sei kein Problem, aber er hoffe doch, dass ich ihm heute noch assistieren würde, er könne meine Hilfe gebrauchen. Jippi, dachte ich mir. Wir wuschen uns steril und Jonas ging schon in den OP (die Schweden nehmen es mit Sterilwaschen nicht so ernst wie in Deutschland [dort ist das eine Wissenschaft für sich] und so war er ganz schnell fertig), während ich noch etwas länger brauchte (da ich es in Deutschland gelernt hatte). Ich war fast fertig, als die OP-Schwester herauskam und sagte: du brauchst dich nicht steril machen, Jonas hat schon eine Assistentin. Innerhalb einer Sekunde fiel meine Stimmung in den Keller. Als ich in den OP kam, wartete bereits eine der Assistenzärztinnen. Ganzschön gemein. Klar wollen die auch auf ihre OPs kommen, aber es war einfach so fies, mir die Nase im Voraus so lang zu machen. Aber er wusste es wohl nicht. Es hieß also dementsprechend: zuschauen. Und bei nur Zuschauen wird mir immer recht schnell langweilig und so war ich froh, dass ich nachmittags etwas früher gehen durfte.
Den Donnerstag nutzte ich dann nochmal richtig zum Lernen, da wir am Freitag bereits eine Prüfung schreiben mussten. Da ich kaum Zeit gehabt hatte, mich ordentlich darauf vorzubereiten, orientierte ich mich hauptsächlich an Altklausurfragen und versuchte, noch das Beste aus der verbliebenen Zeit zu machen. Als wir uns am Freitag brav mit immer einem leeren Platz dazwischen im Hörsaal verteilt hatten, hielt eine der Ärztinnen eine kurze Ansprache: "Die Klausur enthält einen Teil Altfragen und einige neue Fragen. Wir haben uns gestern gegenseitig abgefragt und sind zu dem Schluss gekommen, dass die Klausur wahrscheinlich ein bisschen zu schwer geworden ist. Wenn sie zu schlecht ausfällt, senken wir vielleicht die Bestehensgrenze." Oh-oh. Sie jagte mir mit diesen Sätzen ne ganzschöne Angst ein. Vor allem, weil zu Beginn des Semesters gesagt worden war, dass es garkeine richtige Klausur sei und man, wen man durchfallen sollte, lediglich zu einem persönlichen Gespräch zum Chef eingeladen würde. Und jetzt stellte sich diese Frau da vorne hin und sagte so etwas. Das kann ja was werden, dachte ich mir. Wenn die das schon sagt, wie schwer ist es dann erst für uns? Aber die Panikmacherei war komplett unbegründet. Insgesamt befanden sich vielleicht fünf neue Fragen in der Klausur (von 40). Diese waren tatsächlich blöd, aber der Rest bestand aus Altfragen. Und da ich ja eigentlich nur mit Altfragen gelernt hatte, war das Ganze kein Problem. Wie heißt es noch so schön? "Das Essen wird nie so heiß gegessen, wie es gekocht wird". Oder so Ähnlich. Ergebnis: 35 von 40 Punkten.
Meine zweite Woche sollte ziemlich frustrierend werden. Als ich am Montag zur Frühbesprechung kam, wurde ich Elisabeth zugeteilt. Das war nicht der Arzt, dem ich eigentlich laut Plan zugeteilt war, aber ich dachte mir, das hat sicher seine Richtigkeit. Diese ist eine Frau, deren Charakter man mit einem Hingucker bereits voll erfasst. Und dieser Eindruck war bei Weitem kein positiver. Das konnte ja was werden. Nach der Besprechung verließ ich den Raum, ging auf Elisabeth zu und stellte mich vor. Die Antwort war: "Ja, jetzt geh hier mal aus dem Weg, da kommt ja keiner durch". Ok. Also stellte ich mich zur Seite und sie klärte noch ein paar Dinge mit ihren Kollegen. Außerdem war ihr eine Assistenzärztin, Susanne, zugeteilt. Wir hatten OP-Tag. Und das hieß für mich: Zuschauen. Und das den ganzen Tag. Elisabeth operierte zusammen mit Susanne. Und es waren drei vaginale Hysterektomien an diesem Tag. Spannend. Ich stand die ganze Zeit hintendran und schaute über ihre Schulter. Ich stellte schnell fest, dass mich Elisabeth eigentlich garnicht dabei haben wollte und mich gekonnt ignorierte. Wenn ich mal eine Frage stellte, wurde diese entweder nicht beantwortet oder mit einer kurzen knappen Antwort à la: so ist das, wieso weißt du das nicht, und jetzt lass mich gefälligst in Ruhe mit deinen blöden Fragen. Das ließ ich also auch schnell bleiben. Zwischen den OPs verschwand sie total schnell irgendwohin. Ich wusste nicht, was ich machen oder wohin ich gehen sollte. Also wartete ich Ewigkeiten darauf, sie irgendwann wieder irgendwo zu finden. Um dann wieder hintendran zu stehen. Ich ging mittags dann früher, da ich nicht den Eindruck hatte, irgendetwas zu lernen. Zuschauen ist ja auf jeden Fall auch ok, aber nicht fünf Mal bei der gleichen OP. Ich hoffte darauf, dass mein Handledare am nächsten Tag wieder kommen würde.
Als ich am Dienstag nach der Frühbesprechung den Raum verließ und mich wieder zu Elisabeth stellte um sie zu begrüßen, drehte sie sich um und sagte: "Such dir einen anderen Arzt, ich hab schon Susanne." Ich war etwas perplex und wusste nicht, an wen ich mich wenden sollte. "Wer ist denn dein eigentlicher Handledare?", fragte sie schnippisch. Mir fiel der Name nicht mehr ein. "Find's halt raus!", zischte sie und machte sich mit Susanne davon. Ich stand einfach nur da, mit offener Kinnlade und wusste einfach nichts zu sagen zu diesem Verhalten. Auch der Chef, Bo, hatte das mitbekommen und fand es ebenfalls nicht gut. Er schaute zuerst entsetzt zu mir und lief dann Elisabeth hinterher, um ihr zu sagen, dass er glaube, dass sie durch die vielen Krankheitsfälle gestresst sei, aber dass das kein Umgang sei und sie nicht so mit Studenten reden könne..." Nach einer Weile kam er wieder zurück und fragte mich, ob ich es als genauso unpassend empfunden hätte oder ob es nur ihm so vorgekommen sei. Natürlich fand ich es genauso unpassend. Ich war einfach nur wütend. Er sagte, dass ihr Verhalten absolut nicht akzeptabel sei, das wohl öfter vorkomme, auch gegen Assistenzärzte und dass er sie noch ein mal zur Rede stellen werde. Ich solle das auf jeden Fall am Ende des Kurses in meiner Evaluation erwähnen, so dass er etwas in der Hand habe. Ich war froh, dass er mir den Rücken stärkte, wobei es mich doch ein wenig überraschte. Er wusste auch nicht so recht, wem er mich nun zuteilen sollte und meinte dann nach kurzem Überlegen: "Ach, wenn du magst, kannst du heute mit mir mitkommen. Ist halt Geburtshilfe anstatt Gynäkologie." Das war mir nur Recht. Der Tag wurde auch sehr spannend. Es handelte sich um einen Sprechstunde-Tag. Es war ja mein erster Tag in der Obstetrik (Geburtshilfe - sagt man im Deutschen auch Obstetrik?) und deshalb sehr interessant. Einige Patientinnen kamen einfach nur zum Gespräch, um über den aktuellen Stand und die Geburtsplanung zu sprechen. Ein Paar kam aber zu einem Nach-Gespräch, nachdem es im Dezember das Kind durch eine Infektion in der 21. Woche verloren hatte. Es war eine ganz bedrückende Situation, da man sah, wie die Eltern noch immer unter dem Verlust litten. Aber man merkte, dass es ihnen half, mit dem Arzt zu sprechen und Fragen los zu werden über Risiken in der Zukunft und warum es dazu kam und ob man es hätte früher bemerken können und ob man hätte etwas dagegen tun können, hätte man es früher bemerkt usw. Ich war die ganze Zeit nur passiver Zuhörer, aber die Zeit ging superschnell vorbei. Bei einer Patientin, die kurz vor der Geburt stand, durfte ich dann versuchen, den Muttermund zu fühlen. Ich war dabei aber leider nicht so wirklich erfolgreich, bzw. war mir nicht so ganz im Klaren, ob ich ihn nun fühlte oder nicht ;) Aber war auch mein erster Versuch. Nach der Mittagspause ging es dann weiter mit Ultraschall-Sprechstunde. Hier wurden die Feten vermessen und dadurch das ungefähre Gewicht berechnet, es wurde auf Herzschlag und Bewegung geachtet, Bo schaute, ob eine ausreichende Menge Fruchtwasser vorhanden war und ob das Kind alles hatte, was es haben sollte. Ich habe zuvor noch nie einen live-Ultraschall bei Schwangeren gesehen und lernte deshalb sehr viel. Besonders interessant war eine Frau, über 40, die nach einer Ei-Spende mit Zwillingen schwanger geworden ist und nun zur Kontrolle kam. Das Komische an der Situation war: dabei war noch eine zweite Frau, die auch schwanger war, aber um einiges jünger zu sein schien. Noch komischer: diese zwei Frauen sahen sich ähnlich. Und ich spekulierte, ob es sich hierbei um Mutter und Tochter handelte, die gleichzeitig schwanger waren. Als sie wieder gegangen waren, stellte sich heraus, dass Bo auch darüber spekuliert hatte. Und so wunderfitzig (sorry für diesen Dialekt-Ausdruck *g*) wie wir waren, durchsuchten wir nochmal die Computerdaten und fanden heraus, dass es sich wohl um ein Paar handelte. Die werden mit ihren drei Kindern dann ganz schön was zu tun haben ;)
Nach diesem Tag war ich wieder etwas motivierter und war gespannt auf den nächsten Tag.
Dieser begann mit einer kleinen Frühbesprechung, bei welcher nur die Gynäkologen anwesend waren (hier an der Göteborger Klinik ist das streng aufgeteilt: Gynäkologen und Obstetriker). Heißt: Elisabeth und drei weitere Ärztinnen. Und, welch Überraschung: mein Handledare war noch immer krank. Oh nein. Ich konnte mir schon vorstellen, was das hieß. Da Elisabeth in dieser Gruppe leider die führende Position hatte, musste ich sie fragen, wem ich zugeteilt war. Und wie befürchtet kam die Antwort: "du kommst mit uns in den OP". Also gut. Ich watschelte mal wieder Elisabeth und Susanne hinterher. Und der Tag begann mit VEX - Abtreibungen durch Absaugung. Super. Die erste machte Elisabeth und die weiteren "durfte" dann Susanne machen. Ich fand das ganze ziemlich eklig. Erstens sieht es brutal aus und zweitens ist da dieser moralische Aspekt, der mich dem Ganzen etwas Kritisch gegenüberstehen lässt. Vor allem bei so Kommentaren wie: "wenn der Sauger dieses Geräusch macht, kannst du sehen, wie die Plazenta (Mutterkuchen) rausgesaugt wird", wird mir ganz anders. In Schweden darf bis zur 18. Woche begründungslos abgetrieben werden. An diesem Tag waren es vier Stück. Ich war froh, als diese rum waren und wir in einen anderen OP wechselten. Was stand an? Vaginale Hysterektomie. Yeah. Und wer operierte? Elisabeth mit Susanne, richtig. Was machte ich? Zuschauen, genau. Spannend. Ich wurde auch übrigens wieder die ganze Zeit komplett ignoriert, was mich mit der Zeit echt total annervte. Das war überhaupt kein "handledning". Mir wurde nichts erklärt, nichts gezeigt und machen durfte ich schon garnichts. Die anderen Studenten durften die ganze Zeit assistieren. Ich stand nur blöd rum. Gegen Mittag, als eine OP fertig war, fragte ich dann Elisabeth, ob ich weiterhin den ganzen Tag nur zuschauen würde. Sie drehte sich um und frage: "Was willst DU denn SONST machen?" Vielleicht mal assistieren? So wie alle anderen? So wie es eigentlich in diesem Kurs vorgesehen ist? "Schau halt in den anderen Sälen, ob du da assistieren kannst", war die Antwort. Aber das konnte ich nicht, da die anderen Säle ja ihre eigenen Studenten hatten. Sie zischte davon, diktierte ihren OP-Bericht und verschwand mal wieder. Und ich wartete. Wie immer. Irgendwann kam sie wieder und verschwand, ohne mich eines Blickes zu würdigen, mit Susanne im OP. Da wurde mir es dann echt zu blöd und ich ging. Vermutlich ist es ihr nicht mal aufgefallen, bzw. wenn es ihr aufgefallen wäre, hätte sie sich wahrscheinlich gefreut.
Halleluja, am Donnertag war mein Handledare, Bengt, wieder da. Ein lustiger alter, kleiner Mann mit dickem Bauch. Sehr sympathisch, aber leider kurz vor der Rente und wie so oft bei dieser Altersklasse hatte ich einige Verständnisprobleme. Was müssen die auch immer so nuscheln. Trotzdem war er sehr nett. Wir hatten Sprechstunde. Ich folgte ihm also, erleichtert, dass ich nicht wieder Elisabeth hinterherrennen sollte, auf Station und dann meinte er: "ich habe jetzt erst mal nur Papierkram zu erledigen. Wir treffen uns dann um 10 Uhr in der Sprechstunde". Geil. Dafür steht man um sechs Uhr auf, um um acht Uhr anzutreten - dafür, dass man dann erst mal zwei Stunden warten kann. Toll. Aber es blieb mir nichts anderes übrig. Um zehn Uhr kam ich dann zur Sprechstunde, aber wie es mein Glück so will, kam die erste Patientin nicht. Und das hieß: wieder ne halbe Stunde warten. Ich war echt genervt. Und was war es für ne Sprechstunde? - Abtreibungs-Vorgespräch-Sprechstunde. Das schien mich echt zu verfolgen. Wir hatten dann drei Patientinnen. Und ich stellte schockiert fest, wie leichtfertig hier Abtreibungen vorgenommen werden. Hier gilt das Prinzip: die Frau entscheidet über ihren Körper und wenn sie sagt, sie will eine Abtreibung, dann kriegt sie eine. Ist ja in gewisser Weise auch nachvollziehbar. Die Frauen rufen dann in der Klinik an, sagen, sie wollen eine Abtreibung, kommen dann ein Mal zum "Gespräch" und zur Untersuchung und ein paar Tage später haben sie dann ihren Termin. Aber das Ding ist: dieses Gespräch ist garnicht wirklich ein Gespräch. Es wird mal kurz gefragt, wieso, aber da der Termin, der ja auch noch eine Untersuchung beinhaltet, auf eine halbe Stunde angelegt ist, kann da nicht groß gesprochen werden. Und wenn man da eine junge Frau sitzen hat, bei der man merkt, dass sie sich in ihrem Entschluss eigentlich doch noch nicht wirklich sicher ist, die existenzielle Fragen stellt, weinend auf ihrem Stuhl sitzt und Fragen stellt wie: "töte ich denn damit bereits ein Leben?" oder "kann ich vielleicht irgendwie mit meiner Schwangerschaft Paaren helfen, die keine Kinder bekommen können?", dann wird in Schweden nicht z.B. ein Gespräch mit einem Sozialarbeiter angeboten. Nein, nach einer halben Stunde heißt es: wir müssen jetzt aufhören, dann und dann ist dein Termin bzw. hier sind die Tabletten, nimm die am Samstag um diese Zeit. Und damit ist das "Gespräch" beendet. Das fand ich doch ziemlich krass. Habe dann auch mit Bengt darüber gesprochen und gefragt, warum speziell bei solchen Fällen nicht Gespräche angeboten werden, damit sich die Frauen wirklich klar darüber werden können, was sie wollen oder nicht wollen. Aber er meinte dann: das sind ganz normale Reaktionen, sowas sehe ich hier jeden Tag. Damit war das Thema erledigt. Das hat mich doch etwas erschreckt. Vor allem, wenn man dann bei der Ultraschalluntersuchung sieht, dass der Zwerg da drin schon Arme und Beine hat und sich bewegt - wenn man sich dann vorstellt, dass er am nächsten Montag einfach weggesaugt wird, das ist schon erschreckend. Aber der Ultraschall wird nur gemacht, um sicher zu gehen, dass ne Schwangerschaft besteht, um zu vermessen, um sagen zu können, wie weit fortgeschritten die SS ist, um dann sagen zu können: vor der neunten Woche - Tabletten oder nach der neunten Woche - Chirurgie. Ich sage nicht, dass ich in jedem Fall absolut gegen Abtreibung bin. Aber das ist wirklich ein empfindliches Thema und meiner Meinung nach sollte man als Arzt bei einer Patientin, die offensichtlich noch nicht ganz gefestigt ist in ihrem Beschluss und einen Haufen Fragen hat, eher versuchen, unterstützend zur Seite zu stehen, indem man nochmal ein Gespräch anbietet, anstatt zu sagen: du bist hier, also bist du offensichtlich gefestigt in deinem Beschluss, also bekommst du auch deine Abtreibung.
Ich habe Bengt später gefragt, wie es denn für ihn ist, Abtreibungen durchzuführen und wie es am Anfang für ihn war. Und da fing er richtig an zu erzählen. Dass er nach seinen Anfängen nach einigen Monaten Albträume bekam (er schilderte diese überraschenderweise ganz genau, aber das lasse ich hier jetzt weg *g*), die ihn immer wieder heim suchten. Er ging dann in Therapie, was ihm offensichtlich dabei half, das Ganze besser zu verkraften. Leider wurde Bengt dann durch einen Telefonanruf zu einem Patienten gerufen und da die Sprechstunde vorbei war, bekam ich meine Unterschrift und wurde nach Hause geschickt. Echt schade, dieses Gespräch hätte noch sehr interessant werden können.
Jetzt habe ich aber mal wieder ne Menge gequatscht =o]
Mache hier mal Schluss für heute und wünsche euch allen ein schönes und erholsames Wochenende!

5 Kommentare:

Stefan hat gesagt…

Hi Lena,

war sehr interessant zu lesen über Deine Zeit in der Gyn. Es bewahrheitet sich mal wieder der alte Satz "Lehrjahre sind keine Herrenjahre". Dennoch hätte ich Dir gewünscht, dass man Dich stärker einbezieht und nicht so vereinzelt links liegen lässt. Aber ich glaube, dass Du aufgrund dieser Erfahrungen zum einen die Phasen intensiver nutzt, wo Anleitung erfolgt und zum anderen es für Dein späteres Ärztinnenleben weißt, wie man es nicht machen sollte, oder?
Hinsichtlich der Abtreibungen gebe ich Dir völlig recht. Es ist gerade dann wichtig, sozialpädagogische Hilfe anzubieten, wo Unsicherheiten, Ängste und Bedenken bei den Frauen deutlich werden. Es ist kaum vorstellbar, dass man im sozial als so fortschrittlich bekannten Schweden derart oberflächlich damit umzugehen scheint.

Übrigens - der Wahlspruch "Es wird nichts so heiß gegessen, wie es gekocht wird" begleitet mich bereits mein ganzes Leben und ich bin damit eigentlich immer sehr gut gefahren. Auch und gerade in Situationen, in denen es schwierig war.
Einen schönen Sonntag wünschen Dir die Freistetter

Mira hat gesagt…

Ich würd ja gern mal wissen, ob Elisabeth wirklich so aussieht, wie ich sie mir vorstelle, hihi. Der Name ist jedenfalls überaus passend :)

Mira hat gesagt…

schau mal den Link oben an *gg*

*lenschn* hat gesagt…

hm welchen link?

Mira hat gesagt…

na den von meinem Namen *draufstups*

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