Samstag, 20. Februar 2010

7 Geburten und Schneechaos in Göteborg

Leute, ist das ein Wetter! Nachdem ich mich letzte Woche bei meiner Mutter beschwerte, dass wir hier in Schweden garkeinen Neuschnee mehr bekämen im Gegensatz zu Deutschland, schneit es nun seit zwei Tagen fast ununterbrochen. Alles ist weiß und man stiefelt teilweise durch kniehohen Schnee. Die Folge ist, dass Trams und Busse kaum noch fahren. Eben wollte ich ganz motiviert zum Volleyballtraining fahren. Nun, eine dreiviertel Stunde nach dem Verlassen des Hauses, bin ich wieder hier. Ohne Sport. Schade eigentlich. Es ist aber schlichtweg unmöglich, in einer bestimmten Zeit von A nach B zu gelangen. Hoffe, das wird zu Beginn der neuen Woche wieder besser. Normalerweise regnet es hier in Göteborg zu dieser Jahreszeit ganz, ganz viel. Da ist mir ganz, ganz viel Schnee doch lieber =).
Nun möchte ich euch aber von meiner Nachtdienstwoche auf der Geburtenstation erzählen. Von Montag auf Dienstag hatte ich meine erste Nacht. Bereits am Wochenende hatte ich reichlich vorgeschlafen, Montag ausgeschlafen und mich auch nachmittags nochmal hingelegt und so fuhr ich gegen halb neun hochmotiviert und topfit zur Klinik. Wie immer dauerte es eine Weile, bis sich mir jemand annahm. Ich wurde der "barnmorska" (Hebamme) Annelie zugeteilt, die gleich einen sehr sympathischen Eindruck auf mich machte. Und dieser Eindruck täuschte auch nicht. In dieser Nacht herrschte Hochbetrieb auf der Geburtenstation und so sollte ich gleich im ersten Dienst drei Geburten zu sehen bekommen. Die erste Frau war Mitte dreißig und erwartete nun ihr zweites Kind. Das erste Kind kam per Notkaiserschnitt auf die Welt, nun war aber eine normale Entbindung geplant. Und das funktionierte auch super. Sie meisterte die Geburt total souverän und so wurde ich bereits nach wenigen Stunden Augenzeuge einer gut verlaufenden Geburt. Ich schaute erst mal nur zu, aber alleine das war schon überwältigend genug. Habe zuvor noch nie eine Geburt gesehen und so war es ein sehr eindrucksvolles Erlebnis für mich. Für die Eltern natürlich auch ;) sie brachten einen gesunden Sohn zur Welt. Annelie versprach mir, dass ich bei der nächsten Geburt gerne auch mithelfen dürfe. Ich freute mich und war gespannt, wie die nächste verlaufen würde. Erst einmal machten wir eine kleine Essenspause, es war bereits ein Uhr nachts. Ich war noch immer topfit, hatte ja meinen Schlafspeicher auch kräftig aufgefüllt. Bald klingelte es an der Pforte und eine junge Frau kam mit ihrem Mann auf Station. Sie erzählte, dass die Wehen um zwölf Uhr eingesetzt hätten. Sie schien starke Schmerzen zu haben und wirkte total durch den Wind, wiederholte ständig, dass sie jetzt zuerst noch duschen wolle. Annelie schaltete sofort - das Kind war unterwegs. Sie zog die Frau mehr oder weniger in ein freies Zimmer, aufs Bett, wir beeilten uns damit, ihre Klamotten auszuziehen und kaum lag die Frau richtig auf dem Bett, war das Kind bereits da. Das war unglaublich! Ich stand da und muss geschaut haben wie ein Auto. Ich war total perplex; hätte nie gedacht, dass das SO schnell gehen kann! Die Eltern waren offenbar genauso überrascht und die Frau erzählte, dass sich die Geburt ihres ersten Kindes über drei Tage hingezogen habe. Aber natürlich hatte sie nichts dagegen, dass es dieses Mal so schnell ging ;) Ich glaube, zwischen durch-die-Tür-Kommen und Kindschrei vergingen keine fünf Minuten. So war die zweite Geburt dieser Nacht also relativ schnell erledigt. Da das Ganze so wahnsinnig schnell ging, konnte ich natürlich auch nicht groß was helfen. Wäre aber in der Situation vor lauter Überraschung wohl auch unfähig gewesen, produktiv zu sein ;)
Danach wechselte ich zu einer anderen Hebamme, da diese gerade eine Patientin betreute, die gleich ihr Kind bekommen würde. Sie hatte eine EDA (Epiduralanästhesie) erhalten, die aber wohl zu großzügig dosiert worden war. Und so spürte sie ihre kompletten Beine nicht mehr und konnte sie auch kaum noch bewegen. War wohl etwas zu viel des Guten, aber sie spürte so überhaupt keine Schmerzen mehr und konnte trotzdem noch problemlos pressen und somit war es eine recht angenehme Geburt für sie. Eine halbe Stunde später war der Sohnemann geboren und Mama, Papa und Oma (die auch anwesend war) waren überglücklich. Alle drei Mütter mussten nach der Geburt genäht werden. Hier in Schweden wird das von den Hebammen gemacht. Die komplette Geburt wird eigentlich, solange sie gut verläuft, ausschließlich von einer Hebamme betreut und geleitet. Ärzte werden nur dazugerufen, wenn das CTG pathologisch ist, Patientinnen eine EDA wünschen oder nach der Geburt eine Sphinkterruptur vorliegt.
Als dieses Kind + Eltern fertig versorgt waren, war es bereits fünf Uhr morgens. Zu diesem Zeitpunkt stand keine weitere Geburt mehr an, aber in dieser Nacht hatten 12 Zwerge das Licht der Welt erblickt - eine ungewöhnlich hohe Anzahl für eine Nacht. Ich durfte nach Hause gehen und mich für die nächste Nacht fit-schlafen.
Die zweite Nacht sollte ruhiger werden. Ich war mit Gunnel, die selbst schwanger ist, unterwegs. Wir betreuten eine junge Frau, geb. '83, die ihr Kind ohne Anwesenheit ihres Freundes/Mannes zur Welt bringen wollte. Der Arme musste dann die ganze Nacht im Aufenthaltsraum sitzen und warten. Aber nunja, Frauen, welche Kinder bekommen, sollen ja bekanntlich alle Wünsche erfüllt werden, wenn möglich. Für diese Frau, Frida, war es das erste Kind und sie schien sehr unter der Geburt zu leiden. Da der Mann ja im Aufenthaltsraum saß, versuchte ich, sie etwas zu unterstützen, indem ich ihr immer wieder den Rücken massierte, Trinken holte, kalte Lappen auf die Stirn legte, Fenster auf, Fenster zu usw. Das Ganze zog sich viele Stunden hin und lange schien die Geburt nicht wirklich voran zu gehen. Zwischen drei und halb vier war es dann soweit, der Kleine entschied sich, der Plagerei ein Ende zu machen. Gunnel half bei der Geburt selbst, während ich Frida half die Beine zu halten und den Kopf zur Brust zu ziehen, während sie meine Hand so dolle quetschte, dass ich eigentlich darauf wartete, ein Knochenknirschen zu hören. Aber da ich den Eindruck hatte, dass ihr das half, hielt ich meinen Mund und versuchte, mich auf was anderes als den Schmerz in meiner Hand zu konzentrieren. Als der Kleine dann gegen halb vier mit zitterndem Kinn (irgendwie machen die Neugeborenen das alle *g*) schreiend auf ihrem Bauch lag, konnte man ihr die Erleichterung und Erschöpfung richtig ansehen. Auch jetzt durfte der Freund/Mann noch nicht reinkommen, sie wollte erst "alles fertig" haben, bevor er kommen sollte. So durfte ich die Nabelschnur durchschneiden und kam sogar in den Genuss, den Kleinen zu halten, während sie genäht wurde. Und da es sich um einen sehr komplizierten Riss handelte, dauerte das Nähen fast eine Stunde. Fand es sehr faszinierend zu sehen, wie der Kleine nach einiger Zeit begann die Augen zu öffnen und dann total desorientiert hin und her zu schauen, um die Umgebung zu erkunden. Er war total friedlich und wartete geduldig, bis Mama fertig war und er zum ersten Mal trinken durfte. Ich fand es sehr gut, dass ich die ganze Zeit mit involviert war und helfen konnte. Das ist doch besser, als nur nebendran zu sitzen und hilflos zu zu schauen. Auch wenn mir diese "motivierenden" Gespräche sehr schwer fallen, die die Hebammen sehr gut drauf haben. Nach dieser Geburt hatten wir eine längere Pause, da sonst nicht wirklich ein Baby im Anmarsch war. Zu Beginn des Abends hatte ich eine andere "Patientin" (ist in dem Zusammenhang eigentlich der falsche Ausdruck, wird aber trotzdem so benutzt) gesehen, die bereits am Ende der 42. Woche war, aber das Kind nicht so wirklich kommen wollte. Tagsüber hatte man ihr einen Katheter gelegt, der an der Spitze einen Ballong (schreibt man das so? Bin verwirrt...) besaß, welcher mit Wasser gefüllt wurde und somit den Muttermund aufdehnen sollte, um die Geburt einzuleiten. Gegen zwölf Uhr nachts wurde er dann wieder gezogen, da man ihn wohl nur zehn Stunden liegen lassen soll, aber noch immer hatte die Frau ganz selten mal schwache Wehen. Die Hebamme ging nicht davon aus, dass dieses Baby in der gleichen Nacht noch kommen würde. Gegen fünf Uhr änderte sich die Situation aber allmählich, das Kind wollte kommen. Und die Frau schien wahnsinnig zu leiden. Ich fand es sehr interessant, zu sehen, wie unterschiedlich sich werdende Väter in dieser Situation verhalten. Vom passiven schuldbewusst-nebendran-Sitzer bis zum Hochleistungs-Animateur war wirklich alles vertreten und bei diesem Paar handelte es sich um zweitere Spezies. Er übernahm komplett die Motivations und Beistand-Arbeit für seine Frau. Die Hebamme musste eigentlich garnichts machen. Das fand ich echt super! Die Frau schrie zwar das Zimmer zusammen, sodass man sie überall auf dem Flur hören konnte (die armen anderen Frauen, die das hörten, aber noch nicht soweit waren...), aber ihr Mann kümmerte sich so ausgezeichnet um sie, dass ich es garnicht schlimm fand, einfach nur im Hintergrund zu sitzen und zu warten. Leider ging es aber nicht wirklich schnell voran und um sieben Uhr war das Kind noch immer nicht da. Zwischen sechs und sieben Uhr begann dann allmählich die Müdigkeit einzusetzen. Man merkt es natürlich besonders, wenn man nur dasitzt und nichts tut. Und so ging ich dann um sieben Uhr nach Hause - auch ohne diese Geburt gesehen zu haben. Aber wer weiß schon, wie lange sowas noch dauert? Als ich dann in der Tram saß, fühlte ich, wie matschig mein Kopf war. Ich sah andere Leute einsteigen und dachte nur schadenfroh: hihi, ihr seht soo müde aus, aber ihr müsst jetzt zur Arbeit. Ich lege mich jetzt erst mal hin! Man ist matschig im Kopf und nimmt irgendwie Geräusche verzögert war... lustige Stimmung ;) War aber an diesem Morgen sehr froh, endlich in meinem Bett zu liegen und zu schlafen.
Auch die dritte Nacht war eher ruhig. Ich war zuerst mit Annika unterwegs, einer geschätzt zwei Meter großen sehr bestimmten Persönlichkeit, aber trotzdem sehr nett. Sie war jedoch jemand, die alleine die ganze Situation unter Kontrolle haben wollte und kein Stückchen davon abzugeben bereit war. Und so blieb außer ein wenig Untersuchung für mich nichts übrig, außer nebendran zu sitzen und zu warten und zuzuschauen. Der Muttermund der Frau war zwar beim Eintreffen in die Klinik bereits vollständig geöffnet (10 cm), aber nach diesem schnellen Öffnen ging es sehr schleichend voran. Annika meinte später, dass das sehr typisch sei: entweder die Öffnungsphase geschieht schnell, gefolgt von einer langen Austreibungsphase oder andersherum. Hier war eben ersteres der Fall. Ich fand es sehr anstrengend, stundenlang auf meinem Stuhl zu sitzen und alle paar Minuten bei ner neuen Wehe zuzuschauen. Bin irgendwie, wie ich schon öfter berichtet habe, nicht so der geborene geduldig-Warter. Aber es blieb mir nichts anderes übrig. Zwischendurch ging ich mal was essen oder nen Kaffee trinken, aber letztendlich landete ich immer wieder auf dem Wartestuhl. Aber so ist das eben mit Geburten - keiner kann sagen, wie lange sowas dauert und jede Minute kann sich das Bild wenden. Aber vier Stunden nur warten ist natürlich trotzdem anstrengend, auch wenn ich selbstverständlich in keinem Fall die Rollen hätte wechseln wollen ;) Ich glaube, das Kind kam dann kurz vor vier. Für die Eltern war es das erste Kind und die Mutter sehr ängstlich. Bereits während der Geburt, wobei ich mir vorstellen kann, dass das ganz normal ist (Selbstzweifel, es nicht zu schaffen; Angst vor den noch bevorstehenden Schmerzen usw.), aber auch nach der Geburt. Sobald das Kind aufhörte zu schreien, fragte sie ständig: atmet sie noch, atmet sie noch? Sollte sie nicht schreien? Geht es ihr gut? Ist sie gesund? Sieht sie normal aus? Und das wurde auch nicht wirklich besser. Das wurde dann mit der Zeit ein wenig anstrengend, aber ich glaube, dieses sich Wünschen, dass das Kind ständig schreit, ändert sich spätestens ein paar Tage nach der Geburt, wenn man vor lauter Geschrei keinen Schlaf bekommt ;)
Meine letzte Geburt erlebte ich dann zusammen mit der Hebamme Elenore. Hier handelte es sich um eine sehr junge Mutter, geb. 88, die zusammen mit ihrem Mann ihr erstes Kind erwartete. Sie war unglaublich souverän und gefasst. Ihr Verhalten hat mich sehr beeindruckt. Obwohl sie so jung und "unerfahren" war! Sie litt leider unter zu hohem Blutdruck und so war die ganze Geburt über Vorsicht angesagt, denn das Kind reagierte mit Tachykardie. Das CTG war eigentlich die ganze Zeit im pathologischen Bereich, auch die EDA schaffte es nicht wirklich, den Blutdruck der Mutter zu senken. Sie entwickelte auch etwas Fieber unter der Geburt, aber ein paar Pamol zeigten ganz guten Effekt. Ich sah die Patientin das erste Mal gegen halb zehn abends und nachdem ich zuerst die andere Geburt gesehen hatte, stieß ich hier noch einmal dazu. Als es endlich soweit war, arbeiteten Mutter, Vater und Hebamme super zusammen und so kam schließlich bei einer Wehe zuerst der Kopf und bei der nächsten Wehe der Rest des kleinen Andreas zur Welt. Dieser Anblick, dass eine ganze Weile nur der Kopf zu sehen war, ohne dass das Kind bereits atmet, war irgendwie seltsam. Bei den anderen Geburten kam immer das komplette Kind unter einer Wehe zur Welt. Aber Kind gesund, Eltern überglücklich. Ich konnte dann noch etwas als Fotograf hilfreich sein und nachdem auch diese Patientin vernäht, das Kind untersucht, gewogen und vermessen war, gab es das erste Festmahl für den Kleinen.
Um fünf Uhr war dann kein einziges Kind mehr unterwegs und so holte ich mir meine letzte Unterschrift und machte mich auf den Nachhauseweg. Meine größte Sorge im Voraus war, dass ich die Müdigkeit nicht im Griff haben und ich die Nächte nicht überstehen würde. Aber ich stellte überraschend fest, dass Müdigkeit eigentlich überhaupt kein Problem war. Es klappte ganz gut, den Tag-Nachtrhythmus für drei Tage komplett umzudrehen.
Diese drei Nächte waren sehr spannend und faszinierend für mich! Ich bin sehr froh, dass keines der Paare etwas gegen meine Anwesenheit hatte und ich diesem großartigen Erlebnis beiwohnen durfte. Es scheint doch wie ein kleines Wunder, dass neun Monate ausreichen, ein komplettes neues Leben zu erschaffen. Hach, jetzt werde ich sentimental. Da höre ich besser mal auf ;)
Euch allen ein schönes Wochenende!
Verschneite Grüße aus Göteborg
Lena =o]

4 Kommentare:

Amir hat gesagt…

Those little cuties that come to this world must be a reward, after such loooooooong shifts.
By the way, treat them with special care, lady! they're Pisces :>

Stefan hat gesagt…

Hi Lenschen,
das war ja wieder mal ein faszinierender Bericht. Ich fühlte mich direkt live im Kreißsaal dabei, so als würde gerade deine Geburt anstehen. War auch so beeindruckend damals (wie auch bei den anderen Kindern). Ach ja ...
Übrigens: "Ballon" schreibt man so..:-) Aber ansonsten bist du der deutschen Sprache noch prächtig machtig (reimt sich ja....).
Versinke nicht im Schnee ... wir denken an dich...
die Daheimgebliebenen ...

BabyDreamers hat gesagt…

Das hört sich echt nach einer verdammt spannenden Zeit an, die du da gerade erlebst!

Anonym hat gesagt…

Ich las einen Blog lange und gut . Ich sehr nützlich, um Ihre Beiträge , vielen Dank für Ihre experiencia.Estoy dankbar für Ihre trabajo.desde teilen ich viel gelernt habe , möchte ich mit Ihnen meine Erfahrung zu teilen , mein Blog zu diesem Thema http://arztes.pro/knnen-sie-sich-noch-nachdem-eine-hysterektomie/
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

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